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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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la O, die wirklich an einem Extrem des Lebens gelebt hatte, an der Grenze der Verlassenheit, in der es keine Nacht und keinen Tag gab, bei ihrem Mann Juan Francisco, von dem sie zunächst nur eine Legende, dann einen entwerteten Mythos und schließlich einen alten Groll kennengelernt hatte, der zusammen mit einer übervernünftigen Resignation fortbestand.
    Ganz selbstverständlich und trotz alledem vertieften sich die Bündnisse zwischen Eltern und Kindern. »In jeder Familie gibt es Gravitationskräfte, die sich ebensowenig aufhalten lassen wie diejenigen, die zwischen den Gestirnen wirken, damit sie nicht herunterfallen«, hatte ihr Maura eines Tages erklärt, »gerade weil die einen von den anderen angezogen werden, sich gegenseitig stützen und sich unversehrt erhalten, trotz der beharrlichen, unaufhaltsamen Kraft eines sich ständig ausdehnenden Universums, und das gilt von seinem Ursprung (falls es je einen gab) bis zu seinem Ende (falls es eines geben wird).
    Schwerkraft ist nicht mit freiem Fall gleichzusetzen, wie das Volk glaubt, Laura. Sie bedeutet Anziehung. Die Anziehung, die uns nicht nur vereint, sondern auch größer macht.«
    Laura und Santiago stützten sich gegenseitig: Die künstlerischen Pläne des Sohns fanden ihren Widerhall in der moralischen Freimütigkeit der Mutter, und Lauras Fortsetzung ihrer gescheiterten Ehe ließ sich durch ihre schöpferische Gemeinschaft mit dem Sohn vollkommen rechtfertigen. Santiago sah in seiner Mutter die Entscheidung verkörpert, frei zu sein, die seinem eigenen Drang zu malen entsprach. Die Annäherung zwischen Juan Francisco und Danton hingegen stützte sich zuerst auf einen gewissen männlichen Stolz des Vaters: Da war der lebenslustige, freie, großmäulige, liebestolle Sohn wie in den ungeheuer populären Filmen mit Jorge  Negrete, die sich die beiden in den Kinos der Stadtmitte zusammen anschauten, etwa im soeben eröffneten Palacio Chino in der Galle de Iturbide, einem Mausoleum mit Pappmache-Pagoden, lächelnden Buddhas und Sternenhim-meln – einer conditio sine qua non für jede »Filmkathedrale« der damaligen Zeit –, wie dem Alameda und dem Colonial mit ihren Reminiszenzen an den Churriguerismus des Vizekönigreichs, dem Lindavista und dem Lido mit ihren Ambitionen, Hollywood nachzueifern und streamlined zu sein, wie es die Damen der guten Gesellschaft nannten, wenn sie von ihrer Ausstattung, ihren Autos und Küchen sprachen. Der Vater ermunterte seinen Sohn, sich auf äußerst zahlreiche Ehrenhändel, gewagte Reiterkunststücke, Kneipenschlägereien und Serenaden – die, beiden schmolzen dahin, wenn sie den feuchten Schlafzimmerblick Gloria Marins sahen – für die kleine Freundin einzulassen, eine Heilige, die zuvor zur lieben Jungfrau gebetet hatte, daß der Mann »fallen« solle. Selbst wenn ein Draufgänger aus Jalisco, ein charro, glaubte, daß er die Frau zu Fall brachte, fiel nämlich immer er ihren Kunstgriffen zum Opfer und mußte sich unter das Joch der Männer erobernden Jungfrauenschar beugen, einer Legion von Señoritas aus Guadalajara, die Esther Fernândez, Maria Luisa Zea oder Consuelito Frank hießen.
    Danton wußte, daß sein Vater die Geschichten von Kneipen, Herausforderungen und Serenaden genießen würde, die auf Vorstadtebene die Heldentaten Jorge  Negretes, des »singenden Charros«, nachgestalteten. Im Gymnasium bestraften sie ihn für diese Eskapaden. Juan Francisco dagegen freute sich über sie, und sein Sohn fragte sich erstaunt, ob sein Vater den Abenteuern der eigenen Jugend nachtrauerte oder ob er sie durch den Sohn jetzt erst nachholte. Über seine persönliche Vergangenheit sprach Juan Francisco nie. Wenn Laura darauf vertraute, daß ihr Mann dem jüngeren Sohn das Geheimnis seiner Herkunft verraten würde, so geschah das nie, es gab einen geschützten Bereich in Lopez Greenes Leben, und zwar gerade den, in dem sich seine Persönlichkeit herausgebildet hatte: War er schon immer der anziehende, wortgewandte und tapfere Führer gewesen, den sie mit siebzehn im Casino von Xalapa kennengelernt hatte, oder gab es etwas vor dem Ruhm und nach ihm, eine Mißbilligung, die den zurückhaltenden, teilnahmslosen und furchtsamen Mann erklärte, den, der heute mit ihr zusammenlebte?
    Juan Francisco belehrte seinen Lieblingssohn über die ruhmreiche Geschichte der Arbeiterbewegung und ihren Kampf gegen die Diktatur von Porfirio Dïaz. Schon 1867, als das Kaiserreich Maximilians zusammenbrach – »denk nur, das ist nicht

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