Die Jahre mit Laura Diaz
die beiden, ohne dabei Laura aus den Augen zu lassen. Dann erst, als die alte, stets schwarzgekleidete Mulattin die Aufmerksamkeit Lauras ganz auf sich gezogen hatte, verdrehte sie schnell die Augen, als wäre sie ein dunkler Adler mit zweigeteiltem Blick, der gleichzeitig in zwei Richtungen sehen könnte, mehrmals blickte sie von Juan Francisco zu Danton und vom Sohn zum Vater und teilte Laura dadurch etwas mit, das möglicherweise bedeutete: Sie verstehen sich. Das wußte Laura schon. Oder: Sie sind einander gleich. Das ließ sich schwer begreifen: Der geschmeidige, lebenslustige, ungenierte Danton schien ganz das Gegenteil des bedächtigen, zurückhaltenden und kleinmütigen Juan Francisco. Worin bestand ihre Beziehung? Maria de la Os Intuition täuschte sie nur selten.
Eines Nachts, als Santiago neben einer neuerworbenen Staffelei, einem Geschenk Diego Riveras, eingeschlafen war, breitete Laura, der es erlaubt war, ihm beim Malen zuzusehen, eine Decke über ihn, rückte seinen Kopf zurecht, so gut sie es vermochte, und strich ihm sanft über die breite Stirn. Als sie hinausging, hörte sie Lachen und Flüstern im ehelichen Schlafzimmer, sie trat ein, ohne zu klopfen, und entdeckte Juan Francisco und Danton, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Boden saßen und eine ausgebreitete Landkarte des Staates Tabas-co studierten.
»Entschuldigung«, unterbrach Laura sie. »Es ist spät, und du hast morgen Unterricht, Danton.«
Der Junge lachte. »Meine beste Schule ist hier, bei meinem Papa.«
Sie hatten getrunken. Die Rumflasche der Marke Potrero war halbleer, und Juan Franciscos alkoholbedingte Schwerfälligkeit machte es ihm unmöglich, die ausgestreckte Hand von der Landkarte seines Heimatstaates zu lösen. »Ins Bett, junger Herr.«
»Oh, ödet mich das an. Wo wir's so toll hatten.« »Morgen bist du ganz hinüber, wenn du nicht schläfst.« »Toll, hinüber, carajo, als war's der Sohn von Avila Cama-cho«, trällerte Danton und verschwand.
Laura blickte ihren Mann und die Landkarte eindringlich an. »Worauf hast du den Finger gelegt?« fragte sie lächelnd. »Laß mal sehn. Macuspana. Ist das ein Zufall? Oder bedeutet dir der Ort etwas?«
»Ein Ort, der mitten im Urwald versteckt ist.« »Das kann ich mir vorstellen. Was bedeutet er für dich?« »Elzevir Almonte.« r
Laura konnte nichts sagen. Schlagartig tauchte in ihrem Geist die Gestalt des Pueblaner Priesters wieder auf, der eines Tages nach Catemaco gekommen war, um Intoleranz zu verbreiten, lächerliche moralische Beschränkungen durchzusetzen, Unschuldige im Beichtstuhl zu verwirren und dann eines schönen
Tages mit den Weihegeschenken für das Jesuskind von Zongoli-ca zu entfliehen.
»Elzevir Almonte«, wiederholte Laura wie in Trance und erinnerte sich an die Frage des Pfarrers während der Beichte: »Würde es dir gefallen, das Geschlecht deines Vaters zu sehen, Mädchen?«
»Er war nach Tabasco geflohen, hatte sich als Zivilist ausgegeben, natürlich, und niemand wußte, woher er sein Geld nahm. Einmal im Monat ging er nach Villahermosa, und am nächsten Tag bezahlte er auf einen Schlag alle seine Schulden. An dem Tag, als meine Mutter im Sterben lag, war kein einziger Pfarrer in der ganzen Gegend von Macuspana zu finden. Ich rannte durch die Straßen und schrie: ›Meine Mutter will beichten, sie will in den Himmel kommen, gibt es hier keinen Pater, der sie segnen kann?‹ Da verriet Almonte, daß er Priester war, und er hat meiner Mutter in ihrer letzten Stunde geistlichen Beistand gewährt. Nie vergesse ich das friedliche Gesicht, das meine liebe Alte gemacht hat. Als sie starb, dankte sie mir, daß ich sie in den Himmel schickte. Ich habe Pater Elzevir gefragt, warum er sich versteckte. Er erzählte es mir, und ich habe zu ihm gesagt: ›Es wird Zeit, daß Sie sich davon frei machen.‹ Ich nahm ihn mit nach Rio Blanco zum Streik. Er hat sich um die gekümmert, die von der Landpolizei verwundet wurden. Die Armee brachte zweihundert Leute um, Almonte hat alle und jeden einzelnen gesegnet. Das konnten sie ihm nicht verbieten, obwohl sie es eilig hatten, die Leichen in offene Güterwagen zu laden und sie in Veracruz ins Meer zu kippen. Aber Pfarrer Elzevir war unverbesserlich. Er machte gemeinsame Sache mit Margarita Ramfrez, einer mutigen Arbeiterin, die hat den Fabrikladen in Brand gesteckt. Nun suchte man ihn aus doppeltem Grund. Die Kirche verfolgte ihn wegen seines Diebstahls in Catemaco und die Regierung wegen seiner
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