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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Füße, in einem langsamen, wonnevollen, aufreizenden Rhythmus. He, Familie, jetzt fängt das Leben an!«
    Niemand konnte sich das Wunder erklären, das mit Tante Maria de la O geschehen war, und niemand konnte sie an ihrer Absicht hindern, nicht einmal zum Zug durfte man sie begleiten, und noch viel weniger nach Veracruz.
    »Er ist mein Bräutigam. Es ist mein Leben. Und meine Stunde. Ich habe es endgültig satt, bei anderen das Gnadenbrot zu essen. Bis zum Grab gibt's für mich bloß noch karibische Lebensfreude und durchtanzte Nächte. ›Es ist schon mal wer beim Karten-mischen gestorben!‹ Zum Teufel damit! Ich nicht!«
    Mit diesen Worten, einem durchaus nicht ungewöhnlichen Beispiel, wie die Alten ihrer Zunge freien Lauf lassen können, wenn sie nichts mehr zu verlieren haben, stieg Maria de la O erleichtert und verjüngt in den Interoceänico. Ein Wunder.
    Obwohl nun der Stuhl des Tantchens leer blieb, hielt Laura Dîaz an der abendlichen Zeremonie fest, sich auf den Balkon zu setzen und dem Verkehr zuzusehen. Die Stadt hatte sich unter General Avila Camacho bis zur Machtübernahme durch den Anwalt Alemân äußerlich wenig verändert, allerdings war Mexico-Stadt während des Krieges zu einem lateinamerikanischen Lissabon geworden (einem Casablanca mit Feigenkakteen, würde der unverbesserliche Orlando sagen), einem Zufluchtsort etlicher Männer und Frauen, die sich aus dem europäischen Konflikt retten wollten. An spanischen Republikanern kamen insgesamt zweihunderttausend, und Laura sagte sich, daß sich Jorge  Maura nicht vergebens bemüht hatte. Unter ihnen waren die Größen der spanischen Intelligenz, was einen schrecklichen Aderlaß für die schändliche Franco-Diktatur bedeutete, gleichzeitig jedoch eine großartige Verstärkung des akademischen, literarischen,
    künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens Mexikos. Gleichsam als Dank für die Gastfreundschaft führten die spanischen Republikaner eine kulturelle Erneuerung Mexikos herbei und gaben dem Land jenen Universalismus, der eine Kultur vor den nationalistischen Viren bewahrt.
    Dort in der Stadt, auf die Laura vom Balkon sah, lebte bescheiden in einer winzigen Wohnung an der Galle de Lerma, der große Lyriker Emilio Prados mit seiner Blindenbrille und angegrauter, wirrer Haarmähne. Prados hatte in seinen Gedichten über den »verfolgten Leib« bereits »Flucht« und »Ankunft« vorausgesehen. Laura lernte diese Gedichte auswendig und las sie Santiago vor. Der Dichter wollte fliehen, wie er sagte. »Ich bin es müde, mich im Geäst zu verstecken… Ich bin dieser Wunde müde. Da sind Grenzen«, las Laura mit lauter Stimme und hörte Jorge  Maura aus der Ferne, als wäre Dichtung die einzige Form zeitgemäßer Wahrhaftigkeit, die der ewige Gott seinen armen sterblichen Geschöpfen vergönnte. Emilio Prados, Jorge  Maura, Laura Dïaz, und vielleicht auch Santiago Löpez-Dïaz, der ihrem Vortrag zuhörte, sie alle wollten ankommen: »mit meinem starren Leib… der sich bewegt gleich einem wasserlosen Fluß, aufrecht geht er durch einen Traum, mit fünf spitzen, in die Brust gerammten Flammen«.
    Elegant wie ein englischer Flaneur wanderte auch Luis Cernuda dort draußen umher, mit seinen Hound's-tooth-]acken und seinen Duke-of-Windsor-Krawatten, seinem geglätteten Haar und seinem Oberlippenbärtchen eines französischen Filmliebhabers. Er schenkte der Stadt die schönsten Liebesgedichte der spanischen Sprache. Santiago las sie seiner Mutter vor, fieberhaft eilte er von einem Gedicht zum anderen, ohne ein einziges zu beenden, immer auf der Suche nach der vollkommenen Zeile, unvergeßlichen Worten:
    »Welch ein trauriges Geräusch machen zwei Leiber, die sich lieben. Könnte er seinen Leib hinabstürzen, einzig die Wahrheit seiner Liebe zurücklassend… Freiheit kenne ich nicht, nur die Freiheit, Gefangener in einem Menschen zu sein… Ich küßte seine Spur…«
    Luis Buñuel kam mit vierzig Dollar in der Tasche aus New York nach Mexiko, ihn hatten die Klatschgeschichten und Verleumdungen seines einstigen Gefährten Salvador Dali vertrieben, der zu »gierig auf Dollars« geworden war. Jorge  Maura hatte Laura Dïaz auf Buñuel aufmerksam gemacht, ihr seinen Film über die spanische Region Las Hurdes gezeigt, deren Leid und Einsamkeit unerträglich waren; die Republik hatte den Film zensiert.
    In der Galle de Amazonas lebte Don Manuel Pedroso, der ehemalige Rektor der Universität Sevilla, von Erstausgaben Hobbes', Machiavellis und Rousseaus

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