Die Jahre mit Laura Diaz
Störenfried vorgestellt, seinen Rivalen, den Menschen.
»Glaube nicht, daß ich mich nicht mit dem Leben abfinde. Ich finde mich nicht damit ab, nicht mehr zu arbeiten. Ich weiß nicht, seit ein paar Tagen scheint mir die Sonne nicht mehr wie früher jeden Morgen ins Gesicht. Machst du die Vorhänge nicht mehr auf, Mama?«
Nachdem Laura die Vorhänge zurückgezogen hatte, damit Licht hereindrang, sah sie wieder zu Santiagos Bett hinüber. Ihr Sohn war nicht mehr da. Eine wortlose Klage schwebte weiter in der Luft.
XVII. Lanzarote: 1949
Du hättest nicht herkommen sollen. Diese Insel gibt es nicht. Sie ist eine Fata Morgana der afrikanischen Wüsten. Ein steinernes Floß, das sich von Spanien losgerissen hat. Ein Vulkan, der es vergessen hat, bis nach Mexiko vorzudringen. Du wirst glauben, was du siehst, und wenn du weggehst, merkst du, daß da eigentlich nichts ist. Im Dampfer näherst du dich einer schwarzen Festung, die aus dem Atlantik wie ein von Europa fernes Phantom aufragt. Lanzarote ist das steinerne Schiff, das einen unsicheren Ankergrund vor den Sandwüsten Afrikas gefunden hat, aber der Stein der Insel glüht heißer als die Sonne in der Wüste.
Alles, was du siehst, ist falsch, es ist unsere tägliche Katastrophe, sie hat sich gestern nacht ereignet, ihr blieb keine Zeit, Geschichte zu werden, und bald wird sie so verschwinden, wie sie gekommen ist, über Nacht. Du betrachtest die Feuerberge, die die Landschaft beherrschen, und du erinnerst dich, daß sie vor kaum zwei Jahrhunderten noch gar nicht da waren. Die höchsten und mächtigsten Gipfel der Insel sind gerade erst entstanden, und bei ihrer Geburt haben sie alles ringsum vernichtet, mit glühender Lava begruben sie die kümmerlichen Weinberge, und kaum daß sich der erste Ausbruch beruhigt hatte, riß der Vulkan vor hundert Jahren wieder das Maul auf, verbrannte mit seinem Hauch alle Pflanzen und überzog alle Dächer.
Du hättest nicht herkommen sollen. Was hat dich wieder zu mir getrieben? Nichts hier ist wahr. Wie sollen in einen Krater im Meer ein Sandgebirge und ein See hineinpassen, dessen Blau kräftiger ist als das des Meeres und des Himmels? Was hast du davon, wenn du dich dort unter den Wellen verabredest, wo wir, du und ich, uns wie zwei Gespenster des Ozeans wiedersehen, der uns für immer trennen sollte? Werden du und ich jetzt auf einer bebenden Insel zusammenkommen, in der das Feuer lebendig begraben ist?
Stell dir vor: Man braucht einen Baum bloß weniger als einen Meter tief zu pflanzen, damit seine Wurzeln verbrennen. Man braucht einen Krug bloß in irgendeinem Loch auszuschütten, damit das Wasser kocht. Hätte ich in das Lava-Labyrinth fliehen können, das der unterirdische Bienenkorb Lanzarotes ist, dann hätte ich es getan, und du hättest mich nie gefunden. Warum hast du mich gesucht? Wie hast du mich gefunden? Niemand darf wissen, daß ich hier bin. Du bist gekommen, und ich wage nicht, dich anzusehen. Nein, das ist eine Lüge: Du bist gekommen, und ich will nicht, daß du mich ansiehst. Ich will nicht, daß du mich mit dem Mann vergleichst, den du vor zehn Jahren zum erstenmal in Mexiko gesehen hast – zwischen jener Begegnung und dieser hier liegen ungefähr zehn Jahrhunderte, wenn die Hölle überhaupt eine Geschichte hat und der Teufel die Zeit berechnet: Auch er ist Teil der Ewigkeit. Heute ist nicht damals, als ich zu dir gesagt habe: »Bleib noch ein bißchen.«
Kannst du dich noch an unsere Streitgespräche mit Basilio Baltazar und Gregorio Vidal erinnern? Du wirst lachen, Laura, unsere triftigen Argumente damals sind alle widersinnig, sind zu Verlust, Tod, unerklärlichen Grausamkeiten und Mordanschlägen geworden. Was bleibt von uns, Laura? Nur mein Blick von vor zehn Jahren, als sich meine Augen in deinen und deine in meinen festsaugten und du dich fragtest, warum ich anders als alle übrigen war, und ich dir ohne ein Wort gesagt habe: Weil ich nur dich ansehe?
Bleibt die Wahrheit bestehen, die du heute siehst? Du siehst deinen ehemaligen Geliebten, der sich auf eine Insel vor der afrikanischen Küste geflüchtet hat. Zum letzten Mal hast du ihn in Mexiko gesehen, in deinen Armen, in einem verschwiegenen Hotel neben einem Park mit Kiefern und Eukalyptusbäumen. Ist das hier derselbe Mann wie der damals? Weißt du, was jener Mann gesucht hat und was der hier sucht? Ist er dasselbe, oder sind es zwei unterschiedliche Wesen? Denn dieser Mann ist auf der Suche, Laura, nur dir wage ich es zu sagen,
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