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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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doch sie waren Komplizen, errieten und dankten einander, denn das, was sie durch ihren gemeinsamen, wortlosen Entschluß verbannten, war das Mitleid. Der glänzende Blick des Jungen aus den immer tieferen Augenhöhlen sagte der Welt und seiner Mutter, die sich im Geist des Sohnes für immer vereinten: Wer darf mich bemitleiden? Verratet mich nicht durch euer Erbarmen. Bis zum Ende will ich ein Mann sein.
    Ihr fiel es sehr schwer, kein Bedauern für den Sohn zu empfinden, nicht nur kein Bedauern zu zeigen, sondern es auch aus ihrem Geist und ihren Gefühlen zu verbannen. Es nicht nur zu verbergen, es vielmehr gar nicht zu haben, so erfaßten es Santiagos wache, elektrisierte Sinne sofort. »Durch sein Mitleid kann man Verrat üben« – diese Worte wiederholte Laura, wenn sie, wie nun jede Nacht, im Feldbett neben ihrem fiebernden, abgemagerten Sohn einschlief, dem Sohn der Verheißung, dem endlich inniggeliebten Kind.
    »Sohn, was brauchst du, was kann ich für dich tun?«
    »Nein, Mama, was kann ich für dich tun?«
    »Weißt du, ich möchte allen Ruhm und alle Tugenden dieser Welt rauben, um sie dir zu schenken.«
    »Danke. Das hast du schon getan, wußtest du das nicht?«
    »Was noch? Noch etwas.«
    Was noch? Noch etwas? Laura Dïaz saß am Bettrand des kranken Santiago und erinnerte sich plötzlich an ein Gespräch der beiden Brüder, das sie eines Nachts ungewollt mitgehört hatte, und das nur, weil Santiago, der seine Schlafzimmertür immer offenstehen ließ, Danton ausnahmsweise bei sich im Zimmer gehabt hatte.
    »Papa und Mama fühlen sich unseretwegen unsicher«, das hatte Danton erraten, »sie stellen sich zu viele Wege vor, denen wir beide folgen könnten…« – »Wie gut, daß sich unsere Ansprüche nicht in die Quere kommen«, entgegnete Santiago, »wir lahmen uns nicht gegenseitig.« – »Du glaubst trotzdem, daß dein Anspruch gut und meiner schlecht ist, nicht wahr?« fragte Danton hartnäckig weiter. – »Nein«, sagte Santiago, »es geht nicht darum, daß deiner schlecht und meiner gut wäre, oder umgekehrt, wir sind dazu verdammt, unsere Ansprüche zu erfüllen oder es wenigstens zu versuchen.« – »Verdammt?« Danton lachte. »Verdammt?«
    Danton war mittlerweile mit Magdalena Ayub Longoria verheiratet und lebte, wie er es immer gewollt hatte, in Las Lomas de Chapultepec, in der Avenida de los Virreyes, er hatte sich die neubarocken Scheußlichkeiten Polancos erspart, aber nicht etwa, weil das seinen Schwiegereltern so gefallen hätte. Es war ein Haus mit geraden und geometrischen Linien, die ihn nicht ablenkten. Laura sah ihren zweiten Sohn immer seltener. Sie nahm Zuflucht zu dem Vorwand, daß auch er sie nicht besuchte, wobei sie zugab, sich eifrig um Santiago zu bemühen. Ihn brauchte sie nicht zu besuchen, sie hatte ihn, von immer wiederkehrenden Krankheiten geschwächt, im Haus der Familie. Santiago war ein Künstler, der einen Schicksalsweg beschritt, den niemand blockieren konnte, weil er der Weg der Kunst, der Werke war, die den Künstler schließlich überleben würden.
    Laura berührte Santiagos fieberheiße Stirn und fragte sich, ob dieser junge Künstler, der ihr Sohn war, nicht allzusehr Initiation und Schicksal miteinander verschwisterte. Die gemarterten, erotischen Gestalten seiner Bilder waren keine Verheißung, sondern ein Abschluß. Kein Anfang, sondern ein unabänderlicher Ausgang. Sie alle bedeuteten ein Ende. Laura Dïaz verstand das, und es machte ihr angst, weil sie in ihrem Sohn die vollständige Verwirklichung einer Persönlichkeit sehen wollte, deren Freude von ihrer Schöpferkraft abhing. Es war nicht gerecht, daß sein Körper ihn verriet und sich nicht seinem Willen – und ihrem – unterwarf.
    Sie war nicht bereit, sich abzufinden. Sie beobachtete ihren Sohn, wie er gedankenversunken und fasziniert arbeitete, allein und nur für sich malte, so wie es sein mußte. Ganz gleich, welches Schicksal dieses Bild hat, mein Sohn wird seine Begabung offenbaren, auch wenn er keine Zeit für den Triumph hat, er wird arbeiten, seine Phantasie entwickeln, obwohl er keine Zeit hat, ein großes Werk zu schaffen: Dennoch, seine Malerei läßt sich nicht unterdrücken, das ist die Belohnung, mein Sohn tut etwas, was sich nicht ersetzen läßt, was nur er tut, es kommt nicht darauf an, wie lange, in seinem Werk gibt es keinen Fehlschlag, selbst wenn sein Leben unvollendet bleibt. Seine Fortschritte sind erstaunlich; wenn man sich der Kunst widmet, gibt es eine Offenbarung nach

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