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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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ich brauche dich mehr als je zuvor, komm mit mir zurück. Entschuldige, daß ich mich so aufdränge, aber du fehlst mir sehr. Niemanden habe ich je so geliebt, wie ich dich auch heute noch liebe.«
    Da sah er sie mit einer Miene an, die sie für Traurigkeit hielt, dann aber allmählich als Distanz begriff. Sie spürte, wie sich etwas in ihr sperrte, als er sagte, er wolle an einem Ort sein, wo er sich in Gefahr befinde und Schutz brauche, um sich nicht zu stark zu fühlen. Die Gefahr nahm ihm nicht die Kraft, sondern gab ihm Kraft, Widerstand zu leisten, sich nicht behaglich zu fühlen.
    Lauras Abwehrreaktion war unwillkürlich. Sie saß auf dem einzigen Stuhl in der Hütte, während er stehenblieb und sich an die nackte Wand lehnte. Worüber war sie überrascht, hatte es in Jorge  Maura nicht immer schon etwas Mönchisches, Strenges mit gelegentlichen aktiven Phasen gegeben? Und das aktive, geistige Leben dieses Mannes, den sie liebte, war immer, wie die Erde von der Atmosphäre, in die Haut der Sinnlichkeit eingeschlossen gewesen. Sie kannte ihn nicht ohne seine Sexualität. Er sah sie an und erriet ihre Gedanken.
    »Glaube nicht, daß ich ein Heiliger bin. Ich bin ein zugrunde gerichteter Narziß, das ist etwas anderes. Diese Insel ist mein Gefängnis und meine Zuflucht.«
    »Du wirkst wie ein König, der verbittert ist, weil die Welt ihn nicht verstanden hat«, sagte sie und spielte mit der Streichholzschachtel, die in diesem einsamen Raum, in den nie elektrisches Licht gelangt war, nicht fehlen durfte.
    »Jedenfalls ein verletzter König.«
    War er etwa aus Überzeugung hier, weil er sich bekehrt hatte, weil sich auch jene Frau zum katholischen Glauben bekehrt hatte und er nun ebenfalls nach einer Möglichkeit suchte, in den Schoß der Kirche zurückzukehren und an Gott zu glauben? Raquel und Jorge , das andere Paar.
    Jorge  lachte. Er hatte sein Lachen nicht verloren, er war nicht der heilige Märtyrer auf dem Gemälde Zurbarâns, während er genau danach aussah in diesem helldunklen Raum, der Laura beeindruckte und in eine Bildwelt einführte, deren Zentralfigur den Verlust des Stolzes als Möglichkeit der Erlösung verkörperte. Doch gleichzeitig konnte man an dieser Figur erkennen, daß die Erlösung ihr Stolz war. Duldete Gott den Hochmut des Heiligen? Durfte es einen heldenhaften Heiligen geben? Wenn Gott unsichtbar war, konnte er sich dann im Heiligen offenbaren?
    Sie blickte auf und sah in Mauras Augen. Das Gesicht des Mannes hatte sich in den zehn Jahren sehr verändert. Weißes Haar hatte er schon immer gehabt, seit seinem zwanzigsten Lebensjahr, doch keine so tiefliegenden, so sehr ins Gehirn verliebten Augen, kein derart abgemagertes Gesicht; der weiße Bart verdeutlichte die abgelaufene Zeit, die früher, in der langen Jugend, reine, verheißene Zeit gewesen war. Das Gesicht hatte sich verändert, und trotzdem war es das gleiche, wie sie erkannte: Es war kein anderes, selbst wenn es sich gewandelt hatte.
    »Ich kann mich von mir selbst entfernen, aber nicht von meinem Körper.« Er blickte sie an, als durchschaute er sie.
    »Erinnere dich, daß unsere Körper große Lust aneinander hatten. Ich wäre gern wieder mit dir zusammen.«
    Er sagte ihr, daß sie die Welt sei, und sie bat ihn: »Sag mir, warum du nicht in der Welt sein kannst.«
    Jorge  Mauras Schweigen war nicht aufschlußreich, doch versuchte sie weiter seine Gedanken zu erraten, weil er ihr keine andere Möglichkeit gab, als zu vermuten. Suchte er Einsamkeit, Glauben oder beides? Floh er vor der Welt? Warum floh er?
    »Du bist im Kloster, und du bist nicht dort.«
    »So ist es.«
    »Glaubst du an die Religion oder nicht?«
    Sie glaubte, daß er ihr etwas erklären sollte. Das war er ihr schuldig, nach so langer Zeit.
    »Du und ich, wir haben uns immer verstanden.«
    Er antwortete ihr sehr indirekt und mit einem distanzierten Lächeln. Er erinnerte sie an das, was sie schon wußte. Daß er einer der privilegierten Studenten spanischer und europäischer Universitäten gewesen war, als Spanien, sagte er lächelnd, den Escorial verließ und in Europa ankam, während es seine Wunden leckte, die es sich im verlorenen Krieg mit den Vereinigten Staaten zugezogen hatte, durch den endgültigen Verlust des spanischen Imperiums in Amerika, Kubas und Puerto Ricos, den ewigen letzten Kolonien. Spanien schloß sich Europa an, und das war dem Genie Ortegas zu verdanken, dessen Schüler Maura war. Das prägte ihn für immer. Dann studierte er bei

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