Die Jahre mit Laura Diaz
Fuente Ovejuna«, sagte Laura Dïaz lächelnd und dachte an Basilio Baltazar.
Es gab hartnäckige Anhänger Stalins und der UdSSR, doch auch etliche, die vom Stalinismus enttäuscht waren und die sich in ihrer amerikanischen Heimat nicht wie Stalinisten verhalten wollten.
»Wenn wir Kommunisten in den USA an die Macht kämen, würden wir die dissidenten Schriftsteller auch verleumden, ins Exil schicken oder umbringen.«
»Dann wären wir keine wahren Kommunisten, sondern russische Stalinisten, das Produkt einer religiösen, autoritären Kultur, das nichts mit dem Humanismus eines Marx oder der Demokratie eines Jefferson zu tun hat.«
»Stalin hat die kommunistische Idee für immer verfälscht, mach dir nichts vor.«
»Ich halte an der Hoffnung eines demokratischen Sozialismus fest.«
Laura gab diesen Stimmen kein Gesicht und keinen Namen und machte sich deshalb Vorwürfe, doch sie wurde von einer Runde gleichartiger Argumente entschuldigt, von wechselnden Stimmen ausgesprochen, die hin und her huschten, dawaren und danach für immer verschwanden, zwischen den Bougainvilleen im Garten der Beils in Cuernavaca nur den Ton ihrer Stimmen zurücklassend, keine Bilder ihrer körperlichen Gegenwart.
Unter ihnen waren Exkommunisten, die sich davor fürchteten, wie Ethel und Julius Rosenberg wegen imaginärer Verbrechen auf dem elektrischen Stuhl zu enden. Oder wegen Verbrechen, die andere begangen hatten. Wegen Verbrechen, die sich aus der bloßen Eskalation von Verdächtigungen ergaben. Es gab Linke, aufrichtige Sozialisten oder bloße »Liberale«. Es gab Freunde und Verwandte von Opfern McCarthys, die aus Solidarität mit ihren Angehörigen die Vereinigten Staaten verlassen hatten.
Doch es gab keinen einzigen Denunzianten in Cuernavaca.
Laura fragte sich, zu welcher von all diesen Kategorien wohl der kleine, glatzköpfige, magere, schlechtgekleidete, an einem Lungenemphysem erkrankte, von Widersprüchen bedrängte Mann gehörte, für den sie eine Liebe entwickelt hatte, die ganz anders als jene war, die sie für die anderen Männer empfunden hatte, für Orlando, für Juan Francisco und vor allem für Jorge Maura.
Widersprüche: Ein Emphysem bedrohte Harrys Leben, doch er hörte nicht auf, täglich vier Schachteln Zigaretten zu rauchen, er sagte, er brauche sie, um schreiben zu können, es sei eine unerschütterliche Gewohnheit, nur daß er nichts schrieb und weiter rauchte, während er mit schicksalsergebener Leidenschaft die eindrucksvollen Abenddämmerungen im Tal von Morelos betrachtete und der Duft des westindischen Lorbeerbaums den erloschenen Atem Harry Jaffes überwältigte.
Er atmete schwer, die Luft des Tals drang in seine Lunge und zerstörte sie: Der Sauerstoff gelangte nicht mehr in sein Blut, und eines Tages sollte ihm sein eigener Atem, die Luft eines Mannes namens Harry Jaffe, aus der Lunge entweichen, wie Wasser aus einem schadhaften Rohr entweicht, und sie sollte in seine Kehle eindringen, bis sie ihn mit dem erstickte, was er so dringend brauchte, Luft.
»Wenn du aufmerksam hinhörst«, der Kranke deutete eine Grimasse an, »kannst du das Rasseln in meiner Lunge hören, wie das snap-crackle-pop von Cornflakes. Ich bin ein Napf voller Rice Krispies«, lachte er mühsam, »ich bin das Frühstück der Champions.«
Widersprüche: Glaubt er, daß sie es nicht wissen, und wissen sie es, sagen es aber nicht? Weiß er, daß sie es wissen, und glauben sie, daß er es nicht weiß?
»Wie würdest du über dich selbst schreiben, Harry?«
»Ich müßte die Geschichte mit Worten erzählen, die ich verabscheue.«
»Die Geschichte oder deine Geschichte?«
»Man muß die persönlichen Geschichten vergessen, damit die wahre Geschichte zum Vorschein kommt.«
»Und ist die wahre Geschichte nicht lediglich die Summe persönlicher Geschichten?«
»Ich weiß nicht, was ich dir antworten soll. Frag mich das an einem anderen Tag noch einmal.«
Sie dachte an ihre verschiedenen Lieben, an Orlando, Juan Francisco, Jorge und Harry, an die Liebe zu ihrer Familie, zu ihrem Vater Fernando und Mutti Leticia, zu den Tanten Maria de la O, Virginia und Hilda, an ihre geistigen Leidenschaften, die beiden Santiagos. Verwirrt und zugleich ungerührt hielt sie inné. Danton, ihr zweiter Sohn, erschien auf keinem dieser persönlichen Altäre, die Laura Dïaz errichtet hatte.
Bei anderen Gelegenheiten sagte sie zu ihm: »Ich weiß nicht, wer deine Opfer waren, falls es welche gab, Harry, vielleicht hattest du gar keine
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