Die Jahre mit Laura Diaz
gesagt, heimlich seine Denunziationen äußern. Doch das genügte nicht. Der Zeuge mußte sie öffentlich wiederholen, zum Ruhme des Ausschusses, aber auch, um den Denunzianten zu entehren. Man ließ manches im dunkeln. Zunächst machte man dem Denunzianten weis, daß das geheime Geständnis genügte. So schlimm war die Atmosphäre der Angst und Verfolgungen, daß sich der Denunziant an diesen Rettungsring klammerte, sich selber täuschte und glaubte, ich werde die Ausnahme sein, meine Identität wird man wirklich geheimhalten. Und manchmal hatten sie recht, Laura. Es ist unerklärlich, warum gewisse Leute, die bei der Geheimsitzung gesprochen hatten, anschließend zur öffentlichen Sitzung vorgeladen wurden und andere nicht.«
»Aber Harry ist vor dem Ausschuß tapfer aufgetreten, er hat zu McCarthy gesagt: ›Sie sind der Kommunist, Senators« »Ja, er ist vor dem Ausschuß tapfer aufgetreten.« »Aber bei der exekutiven Zeugenaussage war er es nicht?« fragte Laura. »Hat er zuerst denunziert und danach widerrufen, hat er zuerst seine Freunde verraten und danach den Ausschuß angegriffen?«
»Laura, wir Denunzierte denunzieren nicht selber. Ich sage dir lediglich, daß es gutgläubige Menschen gab, die gedacht haben, wenn ich eine unverdächtige Person nenne, jemanden, dem sie niemals etwas beweisen können, stelle ich mich gut mit dem Ausschuß und rette meine Haut, aber ich schade meinen Freunden nicht.«
Bell stand auf und gab ihr die Hand.
»Liebe Freundin, wenn du Blumen auf die Gräber von Mady Christians und John Garfield legen kannst, so tue es bitte.« Als letztes hatte Laura Dïaz zu Harry Jaffe gesagt: »Lieber berühre ich deine toten Hände als die irgendeines lebenden Menschen.«
Sie wußte nicht, ob Harry sie hörte. Sie sah nicht, ob Harry lebte oder tot war.
Immer fühlte sie sich versucht, ihm zu sagen: Ich weiß nicht, wer deine Opfer waren, erlaube mir, daß ich dein Opfer bin. Immer wußte sie, was er geantwortet hätte: Ich will keinen Rettungsring… Aber ich bin deine Hündin.
Harry hatte gesagt, wenn es eine Schuld gebe, so nehme er sie insgesamt auf sich. »Will ich mich retten?« fragte er mit abwesendem Gesichtsausdruck. »Will ich mich zusammen mit dir retten? Das müssen wir beide gemeinsam entdecken.«
Sie gab zu, daß es ihr sehr schwerfiel, ständig seine Gedanken zu erraten, ohne daß er ihr klar sagte, was geschehen war. Doch sogleich bereute sie ihre Offenheit. Ihr war seit langem klar, daß die Wahrheit Harry Jaffes immer ein Scheck ohne Datums- und Zahlenangaben sein würde, den er jedoch am unteren Rand unterschrieben hatte. Sie liebte einen ausweichenden Mann, der mit einem doppelten Bild verbunden war, dem, das sich die Emigrantengruppe von Harry machte, und dem, das sich Harry von der Gruppe machte.
Laura Dïaz fragte sich, warum sich die Emigranten von Harry distanzierten. Und warum akzeptierten sie ihn gleichzeitig als Teil ihrer Gruppe? Laura wünschte, daß er ihr die Wahrheit sagte, sie weigerte sich, Darstellungen von Dritten zu hören, er aber sagte, ohne zu lächeln, genau wie die Niederlage eine Waise sei und der Sieg hundert Väter habe, habe die Lüge viele Kinder, und die Wahrheit sei ohne Nachkommenschaft. Die Wahrheit existiere ledig und einsam, deshalb zögen die Leute die Lüge vor, sie bringe uns zusammen, erfreue uns, mache uns zu Beteiligten und Komplizen. Die Wahrheit isoliere uns statt dessen und verwandle uns in Inseln, die von Verdacht und Neid umgeben seien. Darum spielten wir so viele verlogene Spiele. Um nicht die Einsamkeit der Wahrheit ertragen zu müssen.
»Harry, was wissen denn du und ich, was wissen wir voneinander?«
»Ich achte dich, du achtest mich. Du und ich, wir sind uns selbst genug.«
»Aber wir genügen der Welt nicht.« »Nein, das stimmt.«
Es stimmte, daß Harry als Emigrant in Mexiko lebte, ebenso wie die Hollywood Ten und die anderen, die vom Kongreßausschuß und von Senator McCarthy verfolgt wurden. Ob sie Kommunisten waren oder nicht, darauf kam es nicht an. Und es gab besondere Fälle wie den des alten jüdischen Produzenten Theodore und seiner Frau Elsa, gegen die man überhaupt keine Anklage erhoben hatte, sondern die aus Solidarität freiwillig ins Exil gegangen waren, weil Filme, wie sie sagten, als Gemeinschaftswerk entstünden und größte Aufmerksamkeit verlangten, und wenn ein einziger an etwas schuld war oder Opfer von jemandem wurde, dann mußte das für alle ohne Ausnahme gelten.
»Alle gemeinsam,
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