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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Opfer, aber wenn, dann erlaube mir jetzt, daß ich das Opfer bin… noch eines.«
    Er starrte sie ungläubig an und nötigte sie, sich selbst anzusehen. Laura Dïaz hatte sich niemals für jemanden aufgeopfert. Laura Dïaz war niemandes Opfer. Darum konnte sie ganz aufrichtig und grundlos das Opfer Harrys werden.
    »Warum schreibst du nicht?«
    »Frag mich lieber, was Schreiben bedeutet…«
    »In Ordnung. Was bedeutet es?«
    »Es bedeutet, in das Innere seines eigenen Ichs hinabzusteigen, als wäre man ein Bergwerk – und um danach wieder emporzusteigen, Laura. Zur reinen Luft emporzusteigen, wenn meine Hände mit meinem Ich erfüllt sind…«
    »Was bringst du aus dem Bergwerk mit, Gold, Silber, Blei? Die Erinnerung? Den Schmutz der Erinnerung? Unsere tägliche Erinnerung…«
    »…gib uns heute. Das ist reine Scheiße.«
    Er wäre gern in Spanien gestorben.
    »Warum?«
    »Aus Liebe zur Symmetrie. Mein Leben und die Geschichte hätten übereingestimmt.«
    »Ich habe viele Leute kennengelernt, die wie du denken. Die Geschichte hätte in Spanien stehenbleiben sollen, als alle jung und alle Helden waren.«
    »Spanien war die Rettung. Aber ich will keinen Rettungsring mehr, das habe ich doch schon gesagt.«
    »Dann mußt du begreifen, was auf den Spanienkrieg gefolgt ist. Kam danach die Schuld?«
    »Es gab viele Unschuldige, dort und hier. Ich kann nicht die Märtyrer retten. Mein Freund Jim ist am Jarama gestorben. Ich hätte mein Leben für ihn hingegeben. Er war unschuldig. Niemand sonst ist es danach gewesen.«
    »Warum, Harry?«
    »Weil ich es nicht war und weil ich nicht zuließ, daß jemand es noch einmal sein konnte.«
    »Willst du dich nicht selbst retten?«
    »Doch.«
    »Mit mir zusammen?«
    »Ja.«
    Aber Harry war am Ende, er hatte sich nicht gerettet, und er würde nie wieder die Gelegenheit haben, an der Jarama-Front zu fallen, vielmehr würde er an einem Emphysem sterben, nicht an einer Kugel der Franquisten oder der Nazis, an einer Kugel mit einer politischen Widmung, er würde an der Implosion einer Kugel sterben, die er in seinem Inneren trug, die körperlich oder moralisch oder auch körperlich und moralisch war. Laura wollte die Zerstörung benennen, die sie unerbittlich mit diesem Mann vereinte, der keine andere Gesellschaft bei seinem Zerstörungswerk hatte, ob mit einer Zigarette oder einem Gewissensbiß, als sie, Laura Dîaz.
    Sie gingen aus Cuernavaca fort, weil die Tatsachen hartnäckig weiterbestanden und Harry sagte, daß er Hartnäckigkeit verabscheute. Sie sprachen nicht mit ihm und blickten ihn nicht an. Laura fragte sich und machte sich dafür Harrys Stimme zu eigen, warum es diese kühle Distanz der anderen Emigranten gab: Warum akzeptieren sie mich, während sie mich gleichzeitig zurückweisen? Wollen sie mich nicht ebenso diskriminieren, wie sie es selber ertragen mußten? Wenn ich heimlich denunziert habe, sagte Laura mit Harrys Stimme, wollen sie mich dann nicht öffentlich beschuldigen? Dürfen sie mich dann nicht als Feind behandeln? Aber ich kann die Wahrheit nicht verraten…
    »Und ruhig leben? Ich weiß nicht, wer deine Opfer waren, Harry. Erlaube mir, daß ich dein Opfer bin.«
    Wenn er als Flüchtling in Mexiko lebte, so deshalb, weil man ihn in den Vereinigten Staaten immer noch verfolgte. Warum klagten ihn die Hexenjäger weiter an? Weil er nicht denunziert hatte? Oder gerade, weil er denunziert hatte? Aber welche Art von Verrat hat er begangen, einen Verrat, der ihm erlaubt, unter seinen Opfern zu leben? Sollte er sich selbst als Denunziant denunzieren? Würde er damit etwas gewinnen? Was würde er damit gewinnen? Buße oder Glaubwürdigkeit? Würde er Buße tun, und würden sie ihm dann glauben, ihn anblicken und ansprechen? Hätten sich dann alle geirrt, sie und er? Oder waren sie in Cuernavaca, im Exil, zu der Überzeugung gelangt, daß er kein Denunziant geworden war, daß er einer der Ihren war?
    »Warum verfolgen sie ihn dann nicht mehr, während sie uns weiter verfolgen?«
    (Laura, der Denunziant ist unangreifbar, die Glaubwürdigkeit, des Denunzianten in Frage zu stellen bedeutet, die Grundlagen des Denunziationssystems selbst zu untergraben.
    Hast du denunziert?
    Nimm es als wahr an. Aber man soll nicht erfahren, daß ich denunziert habe. Man soll mich für einen Helden halten. Ist das nicht nützlicher für die Sache?)
    »Das garantiere ich euch. Er könnte zurückkehren, und keiner würde ihn belästigen.«
    »Nein. Die Inquisitoren entdecken immer neue

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