Die Jahre mit Laura Diaz
mehr noch als Liebe und Bewunderung.
Die im Sarg liegende Frida zeigte ihre schwarze, mit bunten Bändern verflochtene Haarflut. Ihre ringbesetzten Hände und ihre Armreifen ruhten auf der schlafenden Brust, die für die letzte Reise zudem mit prächtigen schmalen Ketten aus Gold und Morelia-Silber herausgeputzt war. Die grünen Türkisringe hingen nicht mehr von ihren Ohrläppchen herab, ruhig lagen sie da wie die tote Frau und speicherten auf geheimnisvolle Weise deren letzte Wärme.
Frida Kahlos Gesicht hatte sich durch den Tod nicht verändert. Selbst die geschlossenen Augen bewahrten ihre Wachsamkeit durch die fragenden, dicht zusammengewachsenen Brauen, jene faszinierende Raupe, die das Kennzeichen dieser Frau war. Doch so dicht sie waren, sie täuschten nicht über Fridas Schnurrbart hinweg, der ihre Oberlippe bedeckte und daran denken ließ, daß ein Penis zwischen ihren Beinen hervorstoßen wollte, ein Zwillingsbruder des Mannesglieds Diegos, um so die Illusion? die Wahrscheinlichkeit? heraufzubeschwören, daß Frida ein Hermaphrodit, ja noch mehr, der Parthénogenèse fähig war, daß sie sich selbst befruchten und mit ihrem eigenen Samen das neue Wesen zeugen konnte, das sie selbst, ihr weiblicher Teil, dank der Kraft ihres männlichen Teils gebären würde.
Laura fotografierte sie deshalb auch für sich selbst, einen reglosen Körper… ohne zu bemerken, daß Frida schon die Reise nach Mictlan angetreten hatte, der indianischen Unterwelt, wohin man nur gelangt, wenn man von dreihundert Ixcuintle-Hun-den geführt wird, jenen haarlosen Kreaturen, die Frida sammelte und die nun untröstlich auf den Patios, Dächern und in den Küchen des Trauerhauses heulten, weil sie ihre Mutter verloren hatten.
Daß Frida Kahlo ruhig dalag, war eine Täuschung. Sie lief einer indianischen Hölle entgegen, die wie eines ihrer Gemälde aussah, aber ohne Blut, ohne Dornen, ohne Martyrium, ohne Operationssäle, ohne Skalpelle, ohne eiserne Korsetts, ohne Amputationen, ohne Föten; einer Hölle, die allein aus Blumen bestand, aus warmem Regen und haarlosen Hunden, einer Hölle voller Ananas, Erdbeeren, Orangen, Mangos, Stachelannonen, Breiäpfel, Zitronen, Papayas, Sapotes, dorthin würde sie gelangen, bescheiden und zugleich stolz, unversehrt, geheilt, wie in der Zeit vor den Krankenhäusern, von keinem Unfall verletzt, und dort würde sie Herrn Xolotl begrüßen, den Botschafter des Weltreichs Mictlan, den Außenminister und bevollmächtigten Gesandten des Todes, das heißt: von HIER. »How do you do, Mister Xolotl?« würde Frida wohl sagen, wenn sie die Hölle betrat.
Sie betrat die Hölle. Aus ihrem Haus in Coyoacan brachte man die Tote zum Palast der Schönen Künste und bedeckte sie mit der kommunistischen Fahne, was die Absetzung des Institutsdirektors provozieren sollte. Danach schaffte man sie ins Krematorium, rollte sie, wie sie war, in die Brennkammer, herausgeputzt, bekleidet, juwelengeschmückt, mit ihrem dichten Haar, damit sie besser brannte. Und als die Flammen emporzüngelten, richtete sich Frida Kahlos Leichnam auf, sie setzte sich auf, als wollte sie noch einmal mit ihren ältesten Freunden plaudern, mit der Clique »Los Cachuchas«, deren Spaße in den zwanziger Jahren ihre Schule in Aufruhr versetzt hatten; als wollte sie sich noch einmal mit Diego unterhalten, so richtete sich Fridas Leichnam auf, belebt von den Flammen des Krematoriumsofens. Ihr Haar erglühte wie ein Heiligenschein. Sie lächelte ihren Freunden ein letztes Mal zu und löste sich auf.
Laura Dïaz blieb nur das Foto ihres Leichnams. Es zeigte, daß der Tod für Frida eine Möglichkeit gewesen war, sich von allem Häßlichen dieser Welt zu entfernen, um es besser zu sehen, nicht um ihm auszuweichen – um die Wesensverwandtschaft der Frau und Künstlerin Frida Kahlo nicht mit der Schönheit, sondern mit der Wahrheit zu entdecken.
Sie war tot, doch an ihren geschlossenen Augen zog der ganze Schmerz ihrer Bilder vorbei, mehr der Schrecken als der Schmerz, wie einige Betrachter meinten. Doch nein, auf Lauras Foto veranschaulichte Frida Kahlo den Schmerz und die Häßlichkeit jener Welt der Krankenhäuser, der Fehlgeburten, des Wundbrandes, der Amputationen, Drogen und starren Alpträume, der Gesellschaft des Teufels, des schmerzensreichen Übergangs zu einer Wahrheit, die Schönheit wird, weil sie unser Wesen mit unseren Vorzügen, nicht mit unserer äußeren Erscheinung gleichsetzt.
Frida gestaltet den Körper: Das hatte Laura
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