Die Jahre mit Laura Diaz
es nicht mehr. Ich bin gefangen. Mein Körper ist in der Routine verfangen. Aber wenn ich ihm entkommen könnte…«
Laura Rivière lächelte. »Ich verabscheue ihn. Das habe ich zu dir gesagt, du erinnerst dich bestimmt.«
»Ich bereue, daß ich dich nicht besucht habe.« »Ich auch.«
»Weißt du was? Wir hätten Freundinnen sein können.« »Hélas«, Laura Rivière seufzte und wandte sich ab, nicht ohne Laura vorher melancholisch anzulächeln.
»Sie hat Artemio Cruz wirklich geliebt«, vertraute ihr Orlando Ximénez an, als er sie in die Avenida Sonora zurückbrachte, mitten durch die überall herumliegenden Trümmer. »Sie war eine Frau, die sich zwanghaft mit dem Licht beschäftigte, der Beleuchtung, den Lampen der Innenräume, ihrer richtigen Anordnung, der genauen Stärke, wie die Gesichter angestrahlt wurden. Damit hat sie sich immer beschäftigt. Sie war – und ist – die Malerin ihres eigenen Bildes. Ein Selbstporträt.«
(»Ich kann nicht mehr, Liebster. Du mußt dich entscheiden.« »Hab Geduld, Laura. Denk daran… Zwinge mich nicht…« »Wozu? Hast du Angst vor mir?« »Geht es uns so nicht gut? Fehlt irgend etwas?« »Wer weiß, Artemio. Vielleicht fehlt nichts.« »Ich habe dich nicht betrogen. Dich nicht gezwungen.« »Und ich habe dich nicht verändert, das ist etwas ganz anderes. Du bist nicht bereit. Ich bekomme es allmählich satt.«
»Ich liebe dich. Wie am ersten Tag.«
»Heute ist nicht mehr der erste Tag. Nein. Stell die Musik lauter.«)
Orlando wollte Laura küssen, als sie aus dem Taxi stiegen. Sie wies ihn angewidert und verblüfft zurück. Sie spürte die leichte Berührung seiner runzligen Lippen, die Nähe des Gesichts, das wie rosafarbenes, leicht gegrilltes Fleisch wirkte, und sie empfand Ekel.
»Ich liebe dich, Laura, wie am ersten Tag.«
»Heute ist nicht mehr der erste Tag. Wir kennen uns zu lange. Zu gut. Lebe wohl, Orlando.«
Und das Mysterium? Würden beide sterben, ohne daß Orlando Ximénez, der enge Freund ihres Bruders Santiago, der Laura gerade deshalb verführt hatte, der geheimnisvolle Kurier zwischen der unsichtbaren Anarchistin Armonia Aznar und der Welt, ohne daß Orlando, ihr Geliebter und ihr Vergil in den Höllenkreisen der Stadt Mexico, ihr seine Geheimnisse offenbarte? Unmöglich ließ sich diesem altmodischen, mumifizierten, banalen »Stutzer« irgendein Mysterium zuschreiben, ihm, der sie zur Totenwache für Carmen Cortina, zum Begräbnis einer ganzen Epoche begleitet hatte.
Er behielt sein Geheimnis lieber für sich.
Die Gedenkfeier für die »alten Zeiten« hinterließ einen bitteren Nachgeschmack in Lauras Mund. Im Haus gab es wieder Licht. Sie sammelte die heruntergefallenen Gegenstände, das Küchengeschirr, räumte das Eßzimmer und vor allem das Wohnzimmer und den Balkon auf, wo sie mit Juan Francisco, Santiago, Danton und dem alten Veracruzaner Tantchen Maria de la O zusammengesessen und in die Abenddämmerung über dem Bosque de Chapultepec hinausgeschaut hatte, als sich die Familie nach Laura Dïaz' leidenschaftlicher Liebesgeschichte mit Jorge Maura wieder versöhnt hatte.
Sie stellte die vom Erdbeben heruntergerissenen Bücher zurück auf die Regale, und aus den Seiten von Bertram D. Wolfes Rivera-Biographie fiel das Foto Frida Kahlos heraus, das Laura an deren Todestag, dem 13. Juli 1954, von ihr gemacht hatte. Laura hatte damals Harry Jaffe in Tepoztlän gelassen und war zu den Riveras nach Coyoacân geeilt.
»Da, nimm«, sagte Harry und gab ihr seine Leica. »Die habe ich in Hollywood benutzt. Vergiß nicht, mir die tote Frida Kahlo mitzubringen.«
Sie ließ sich nicht von der Grausamkeit überwältigen, zu der Harry sie manchmal reizte. Frida war krank und hatte ein Bein verloren, doch obwohl es mit ihr zu Ende ging, malte sie und malte sie bis zum letzten Augenblick auf ihrem Sterbebett. Harry rang in einem tropischen Tal mit dem Tode, ohne daß er den Mut hatte, zu Federhalter und Papier zu greifen. Laura fotografierte schließlich Fridas Leiche vor allem, um Harry das Bild zu zeigen und ihm zu sagen: »Nicht einmal an ihrem Todestag hat sie mit ihrer schöpferischen Arbeit aufgehört.«
Aber Harry war längst tot. Genau wie Carmen Cortina, und aus der Grausamkeit, die sie ihm gegenüber empfunden hatte, wie auch aus dem Gefühl der Lächerlichkeit, das sie überkam, als sie Carmens einbalsamierten Körper gesehen hatte, der nur noch eine kleine Cortina-Puppe war, wurde nun, als sie das Foto der toten Frida betrachtete,
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