Die Jahre mit Laura Diaz
–, mit zwei weißen Strähnen an den Schläfen, und wie sie damit angab, auch unten weiße Haare zu haben, ich bitte dich. Ach, mittlerweile braucht die sich nichts mehr zu färben.«
»Friß mich«, säuselte Andrea zu Orlando hin, als sie an dem Saal vorbeikamen, in dem ein Pfarrer vor einem Dutzend Freunden das Responsorium leitete.
»Friß mich.«
»Schäle ihn mir.«
»Frecher Kerl.« Die Schauspielerin lachte, während das gemurmelte »Lux perpétua luceat eis« das Tuscheln einigermaßen überlagerte.
Der Maler Tizoc Ambriz hatte jeden Gesichtsausdruck eingebüßt. Er war ein indianisches Totem, ein winziger Tezcatlipoca, der aztekische Puck, dazu ausersehen, wie ein Gespenst durch die teuflischen Nächte von México-Tenochtitlân zu streifen.
Tizoc blickte zum Eingang hinüber, wo gerade ein hochgewachsener, braunhäutiger junger Mann mit Lockenhaar eintrat. Er hatte einer Frau den Arm gereicht, deren Leib sich in zahlreiche Fettwülste blähte. Stolz und sogar anmaßend bewegte sie sich am Arm des Epheben, stellte zur Schau, wie leicht ihr Schritt trotz ihres Umfangs und Gewichts war. Gleich einer Galeone der Unbesiegbaren Armada segelte sie auf den stürmischen Wassern des Lebens dahin. Ihre winzigen Füße trugen eine massive Fleischkugel, die von einem Köpfchen mit blonden Locken gekrönt wurde. Die Locken umrahmten ein Gesicht, das gemeißelt, ausgebessert, restauriert, bearbeitet wirkte, um- und aufgearbeitet wie ein kurz vor dem Platzen stehender Ballon, dem jeder Ausdruck fehlte, eine Maske, die von unsichtbaren Nadeln rund um die Ohren und an den Nähten unterm Kinn unsichtbar festgehalten wurde. Dort hatte man ein Doppelkinn entfernt, das sich augenscheinlich bemühte, neu hervorzuquellen.
»Laura, liebste Laura!« rief die schauerliche, in schwarze, mit Edelsteinen übersäte Schleier gehüllte Erscheinung. Lieber Gott, wer mag das sein? fragte sich Laura. Ich erinnere mich nicht an sie, überhaupt nicht! Bis sie merkte, daß der narbenbedeckte Ballon gar nicht sie begrüßte, leichtfüßig schritt er auf jemanden hinter Laura zu, und sie drehte sich um und sah, daß die lebende Lifting-Reklame eine Frau auf die Wangen küßte, die ganz ihr Gegenteil war, eine schlanke kleine Dame, die ein schwarzes Kostüm, ein Perlenkollier und ein Pillbox-Hütchen trug, von dem ein schwarzer Schleier herabhing, der sich so eng an die Haut schmiegte, daß er wie ein Bestandteil ihres Gesichts wirkte.
»Laura Rivière, wie schön, dich zu sehen!« rief die narbenbedeckte Dicke.
»Welche Freude, Elizabeth«, antwortete Laura Rivière und schob ihr üppiges Gegenüber diskret ein Stückchen von sich weg. Verblüfft sagte sich Laura Dïaz, daß die Dicke ihre Jugendfreundin aus Xalapa, Elizabeth Garcia-Dupont Ex-Caraza, sein mußte, deren Mama Dona Lucîa gesagt hatte: »Mädchen, streckt die Brust nicht heraus«, während sie Elizabeth in ein altmodisches, rosarotes und mit unendlich vielen Rüschen und Volants besetztes Tanzkleidchen zwängte.
(»Laura hat damit kein Problem, weil sie flach ist, Mama, aber ich…«
»Elizabeth, mein Töchterchen, du blamierst mich.« »Überhaupt nicht, so hat mich Gott geschaffen, mit deiner Hilfe.«)
Sie hatte Laura nicht wiedererkannt, genau wie Laura sie nicht erkannt hatte – hatte Laura sich, verstohlen betrachtete sie sich im Spiegel des Trauersaals, etwa ebensosehr verändert oder wollte Elizabeth sie nicht erkennen, wegen eines Grolls, der zwar alt, aber lebendig geblieben war? Oder wollte sie einfach nur die Vergleiche, die Lügen vermeiden: Du hast dich überhaupt nicht verändert, wie stellst du das an? Hast du einen Pakt mit dem Teufel? Das letzte Mal, im Ciro's, im Hotel Reforma, hatte Elizabeth wie eine magersüchtige Mumie ausgesehen.
Laura Dïaz wartete so lange, bis sich Elizabeth von Laura Rivière entfernte, um auf ihre Namensvetterin zuzugehen, ihr die Hand zu geben und eine trockene, feine Rechte zu spüren, etwas Wiedererkennbares hinter dem schwarzen Schleier zu suchen, in dem weißen, sorgfältig frisierten Haar, das unter dem runden, flachen Hut hervorsah, während Laura Rivière in ihrer Jugend blondes, romantisch geschnittenes Haar gehabt hatte. »Ich bin Laura Dïaz.«
»Ich habe immer auf dich gewartet. Du hattest versprochen, mich anzurufen.«
»Es tut mir leid. Du hattest gesagt, ich sollte mich retten.« »Hast du gedacht, ich könnte dir nicht helfen?« »Das ist es, was du mir gesagt hast, erinnerst du dich nicht mehr? Ich kann
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