Die Jahre mit Laura Diaz
fotografiert.
Frida bringt das Verstreute zusammen: Laura hatte die Ganzheit eingefangen.
Wie ein seltener Phönix richtete sich Frida auf, als sie vom Feuer erfaßt wurde.
Sie wurde wiedergeboren, um mit ihren haarlosen Hunden ins Jenseits einzugehen, ins Land des kahlen Knochenmanns, des Raffzahns, des Brandgesichts, des Angebers, des Mädchenwärters.
Im Festkleid ging sie ein ins Paradies.
Laura betrachtete sich im Spiegel, mit dem Foto der toten Frida in der einen Hand und der Kamera, die ihr Harry geschenkt hatte, in der anderen. Sie stand in ihrer neuen Wohnung an der Plaza Rio de Janeiro, die sie bezogen hatte, nachdem Danton, der Besitzer der Immobilie, entschieden hatte, das rettungslos kaputte Haus an der Avenida Sonora abzureißen und an seiner Stelle ein zwölfstöckiges Apartmenthaus, ein Condominium, zu errichten.
»Ich hatte gedacht, daß dein Vater und ich die Eigentümer unseres Hauses wären.« Erstaunt, jedoch keineswegs enttäuscht sagte das Laura an dem Tag, als Danton sie besuchte, um ihr die Sachlage zu erklären.
»Das Grundstück gehört mir schon lange«, antwortete Lauras jüngerer Sohn.
Seine Mutter täuschte ihr Erstaunen nur vor; wirklich überraschte sie, wie sehr sich das Aussehen des sechsunddreißigjährigen Mannes verändert hatte, dem sie nicht wiederbegegnet war, seit sie Juan Francisco beerdigt hatten und Laura von Dantöns Schwiegereltern geächtet wurde.
Nicht die wenigen grauen Haare an den Schläfen und auch nicht der etwas dickere Bauch veränderten Danton, sondern sein anmaßendes Auftreten, die Zurschaustellung seiner Macht, die er nicht einmal in Gegenwart seiner Mutter unterlassen konnte –obwohl, vielleicht übertrieb er ja auch, gerade weil er mit ihr zusammen war. Alles, vom Haarschnitt à la Marion Brando in »Julius Caesar« bis zum Anzug in charcoal-grey, von der schmalen englischen Regimentskrawatte bis zu den schwarzen Gucci-Mokassins, alles bekundete Macht, Selbstsicherheit und die Gewohnheit, sich Gehorsam zu verschaffen.
Hektisch und selbstbewußt streckte Danton die Arme aus, um seine rubinfarbenen Manschettenknöpfe zu zeigen.
»In Polanco habe ich eine hübsche Wohnung für dich gesehen, Mutter.«
»Nein«, widersprach sie energisch, »ich will in der Colonia Roma bleiben.«
»Die wird immer schmutziger. Die Straßen werden bald schon fürchterlich verstopft sein. Außerdem ist sie nicht modern. Und am stärksten erdbebengefährdet.«
»Aus all diesen Gründen«, erklärte sie noch einmal, »genau deshalb will ich bleiben.«
»Weißt du, was ein Condominium ist? Ich baue gerade eins, das erste in Mexiko. Die werden modern. Das horizontale Eigentum ist die Zukunft dieser Stadt, das garantiere ich dir. Steig rechtzeitig ein. Außerdem, diese Apartments an der Plaza, die dir gefallen, sind nicht zu verkaufen. Die werden vermietet.«
Genau darum gehe es, sie wolle von nun an ihre Miete selber bezahlen, ohne seine Hilfe.
»Wovon willst du leben?«
»Für so alt hältst du mich?«
»Sei nicht dickköpfig, Mutter.«
»Ich hatte gedacht, daß mein Haus mir gehört. Mußt du alles kaufen, um glücklich zu werden? Laß mich auf meine Art glücklich sein.«
»Indem du verhungerst?«
»Indem ich unabhängig bin.«
»Also gut. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.«
»Du genauso.«
Mit der Leica in der Hand reagierte Laura Dïaz auf die so unterschiedlichen Bilder des Todes von Frida Kahlo und Carmen Cortina im Jahr des Erdbebens. Orlando hatte sie an die unsichtbare, verlorene Stadt mit ihrem erstickenden Elend und Verfall erinnert, die er ihr bereits in jener Nacht der dreißiger Jahre vorgeführt hatte, nach einem Fest im Penthouse am Paseo de la Reforma. Jetzt lief Laura mit der Kamera in der Hand durch die Straßen und entdeckte, wie dicht belebt und gleichzeitig verwahrlost das Zentrum der Stadt war. Jene verlorene, unsichtbare Stadt, jenen wahrhaftigen »Mirakelhof«, in den Orlando sie geführt hatte, um sie zu überzeugen, daß man nichts tun konnte, vermochte sie allerdings nicht wiederzufinden. Der sichtbare Teil der dreißiger Jahre war nun seinerseits der unsichtbare oder wenigstens verwahrloste Teil der Stadt geworden. Das alte Zentrum blieb hinter der ständigen Ausweitung des Stadtgebiets und seiner Entwicklung zurück. Der zentrale Bereich um den Zocalo, den großen Mittelpunkt der städtischen Tagesereignisse seit den Zeiten der Azteken, war zwar nicht verödet, weil es in Mexico-Stadt keine leeren Räume gab, doch er war nicht
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