Die Jahre mit Laura Diaz
ich den Höhepunkt erreiche, mich erregen deine Augen.« Und es stimmte. »Das Geschlecht selbst ist nicht schön, es ist grotesk«, sagte Laura Dïaz an diesem Augustmorgen 1970 zu ihrem Spiegel, »uns erregen der Blick und die Haut, der Widerschein des Geschlechts im Blick und auf der Haut bringt uns seinem unausweichlichen Labyrinth nahe, dem Schlupfwinkel der großen Spinne der Lust und des Todes.«
Längst schon studierte sie ihren Körper im Bad nicht mehr. Sein Altern beunruhigte sie nicht. Seit Frida Kahlo nicht. Frida hatte ihre Freundin Laura dazu gebracht, sich über ihren alternden, aber unversehrten Körper zu freuen. Frida Kahlo war zudem das beste Beispiel für einen unwandelbaren Stil, zu dem sie sich ein für allemal bekannt hatte, der unnachahmlich, majestätisch und einzigartig war. Was zumindest, was die wechselnden Kleidermoden anging, für ihre Freundin und gelegentliche Sekretärin Laura Dïaz nicht galt. Laura fuhr mit der Hand über die im Wandschrank hängenden Kleider aus früheren Zeiten, die kurzen Flapper-Kleider der Zwanziger, die langen weißen Satinkleider der Dreißiger, das Kostüm der Vierziger, Christian Diors New Look, als der weite Rock zurückkehrte und den Stoffmangel der Kriegszeit überwand. Nach dem Besuch auf Lanzarote jedoch hatte sich Laura für Bequemeres entschieden, beinahe eine Tunika, ohne Knöpfe, Reißverschlüsse und Gürtel, ohne jede Behinderung, eine lange Mönchskutte, die sich ohne weitere Umstände anziehen und ablegen ließ und für sie ideal war; als verliehe der einfache, behagliche Baumwollstoff ihr Flügel, alle Stufen México-Stadts, des amerikanischen Roms, zu bewältigen, des urbanen Zentrums aus vier, fünf, sieben übereinander-liegenden Schichten, die hoch wie schlummernde Vulkane und tief wie der Abglanz eines rauchenden Spiegels waren.
An diesem Augusttag 1970, während es draußen regnet und die dicken Tropfen an das Riffelglas des Badezimmers klatschen, zeigt mir der Spiegel nicht mehr mein Lieblingsgesicht, das meines dreißigsten Lebensjahres, sondern das meines zweiundsiebzigsten Lebensjahres, wahrhaftig, ohne Beschönigung. Die hohe Stirn trug Falten, und die Augen mit ihrer dunklen Honigfarbe waren in dichten Schatten und unter Lidern verborgen, die wie verschlissene Vorhänge herabsanken, die Nase reckte sich stärker empor, als Laura es in Erinnerung gehabt hatte, die Lippen waren ungeschminkt und aufgesprungen, die Mundwinkel und Wangen ramponiert wie allzuoft benutztes Chinapapier, mit dem man allzu viele unnütze Geschenke eingewickelt hatte, und dann kam, was sich durch nichts verschleiern ließ, ihr alter Hals.
Eine Haut wie an einem Truthahnschnabel, erbärmlich! Laura beschloß, den Spiegel auszulachen und sich selbst weiter zu lieben, ihren Körper zu lieben und ihr angegrautes Haar.
Sie faltete die Hände über der Brust und spürte, daß sie eiskalt waren. Sie sah das Abbild ihrer Hände mit den von der Zeit zerschnittenen Linien und erinnerte sich an ihren jungen Frauenkörper, der heiß begehrt und gut herausgestellt oder versteckt wurde, je nachdem, wie es der große Souffleur der Eitelkeit, Lust, Schönheit und Verführungskunst entschied.
Sie liebte sich auch weiter.
»Rembrandt hat sich in allen Lebensphasen selbst gemalt, von der Jugend bis ins Alter«, sagte Orlando Ximénez, als er sie zum x-ten Mal in die Schottische Bar des Hotel Présidente in der Zona Rosa eingeladen hatte und sie, for old time's sake, wie Orlando nachdrücklich betonte, endlich einmal zustimmte, ihn um sechs Uhr abends zu treffen – da war die Bar noch leer – und sich eine Weile mit ihm zu unterhalten. »Es gibt keine ergreifenderen Bilddokumente als die dieses großen Künstlers, der es sein ganzes Leben lang vermochte, sich ohne die geringste Idealisierung zu sehen, und der den Höhepunkt mit einem Selbstporträt als alter Mann erreichte, dessen Blick alle vorhergehenden Lebensepochen enthielt, alle ohne Ausnahme, als offenbarte das Alter nicht nur die Totalität eines Lebens, sondern auch jedes einzelne der vielfältigen Leben, die wir geführt haben.«
»Du bist immer noch ganz der Ästhet«, lachte Laura.
»Nein, hör zu. Rembrandts Augen unter den alten Lidern sind beinahe vollständig geschlossen. Sie tränen, nicht aus Rührung, sondern weil das Alter unseren Blick wäßrig macht. Schau mir in die Augen, Laura, ständig muß ich sie mir trockenwischen! Ich sehe aus wie jemand, der Stockschnupfen hat!« Nun lachte auch er, und
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