Die Jahre mit Laura Diaz
mit zitternder Hand nahm er sein Glas schottischen Whisky mit Soda.
»Du siehst sehr gut aus, kerngesund«, kam ihm nun Laura zuvor, denn sie bewunderte die magere, schlanke Gestalt ihres früheren Liebhabers tatsächlich, Orlando wirkte rüstig und kleidete sich mit altfränkischer Eleganz, als herrschte noch die Mode des Duke of Windsor, das zweireihige graukarierte Sakko, die Krawatte mit dem breiten Knoten, die weiten Hosen mit Umschlag, die Church-Schuhe mit dicker Sohle.
Orlando sah aus wie ein gutgekleideter alter Besen, der von einem Schädel mit schütterem grauem, an den Schläfen reichlich pomadisiertem Haar gekrönt wurde, sorgfältig glattgestrichenen, wenn auch dünnen Strähnen, der Nacken war kahl. Die leicht gebeugte Gestalt sollte Höflichkeit bekunden, in Wirklichkeit verriet sie jedoch sein Alter.
»Laß mich ausreden, das Wunderbare an diesem letzten Porträt des alten Rembrandt ist, daß der Künstler angesichts der Verwüstungen der Zeit nicht mit der Wimper zuckt, vielmehr ermöglicht er uns, nicht nur an all seine Lebensalter zu denken, sondern auch an unsere, damit wir das Bild zurückbehalten, das seine Augen eines resignierten, aber schlauen Greises bewahren.«
»Was für ein Bild ist das?«
»Das Bild ewiger Jugend, Laura, weil es das Bild der künstlerischen Kraft ist, die das ganze Werk geschaffen hat, das der Jugend, der Reife und des Greisenalters. Das ist das wahre Bild, das uns das letzte Porträt Rembrandts bietet: Ich bin ewig jung, weil ich ewig schöpferisch bin.«
»Wie wenig Mühe dich alles kostet.« Laura lachte wieder, diesmal abwehrend. »Oberflächlich zu sein, grausam, charmant, unschuldig, pervers. Und manchmal sogar intelligent.«
»Laura, ich bin ein Glühwürmchen, ich leuchte und verlösche, ohne es zu wollen.« Orlando erwiderte ihr Lachen. »Das ist meine Natur. Bist du mit ihr einverstanden?«
»Ich kenne sie.« Laura reagierte mit einer brillanten Antwort. »Erinnerst du dich, daß ich dich beim erstenmal gefragt habe: Ist dein Körper mit mir einverstanden, bestehe ich die Prüfung?«
»Deine Frage erstaunt mich.«
»Warum?«
»Du redest über die Vergangenheit, als könnte sie sich wiederholen. Um mir gerade jetzt, hier und heute, einen Antrag zu machen.« Laura streckte eine Hand aus und streichelte die Orlandos. Der alte Goldring mit dem Monogramm war für seinen abgemagerten Finger zu groß geworden.
»Für mich«, sagte der ewige Verehrer, »stehen du und ich immer noch auf der Terrasse der Hazienda San Cayetano.«
Laura trank ihren trockenen Lieblingsmartini schneller, als es sich eigentlich gehörte. »Nein, wir haben 1970 und sitzen in einer Bar der Zona Rosa, und es wirkt lächerlich, wenn du, was weiß ich, hier so an die romantische Schwärmerei unserer ersten Begegnung erinnerst, mein armer Orlando.«
»Verstehst du das nicht?« Der Greis runzelte die Stirn. »Ich wollte nie, daß unsere Beziehung zur Gewohnheit wurde und damit abkühlte.«
»Mein armer Orlando, das Alter hat alles abgekühlt.«
Orlando starrte auf den Grund des Whiskyglases. »Ich wollte nie, daß die Poesie zur Prosa wurde.«
Laura schwieg ein paar Sekunden. Sie wollte die Wahrheit sagen, ohne ihren alten Freund zu verletzen, wollte dabei aber nicht ihr eigenes Alter mißbrauchen, um von einer ungerecht hohen Warte aus zu urteilen. Das war eine der Versuchungen des Alters, daß man ungestraft Urteile abgab. Aber Orlando kam ihr eilig zuvor.
»Laura, willst du meine Frau werden?«
Laura antwortete nicht, sondern sagte sich selbst nacheinander drei Wahrheiten und wiederholte sie mehrmals: Abwesenheit vereinfacht die Dinge, ein Nachspiel verdirbt sie, Gründlichkeit tötet sie. Bei Orlando bestand die Versuchung darin, daß sie es sich einfach machte und sich zurückzog. Wenn sie sich jetzt jedoch schnell von einem Mann und einer Situation distanzierte, die der Lächerlichkeit nahekamen, wäre das so etwas wie ein Verrat, und das wollte sie um jeden Preis vermeiden. Ich verrate mich selbst und meine Vergangenheit nicht, wenn ich in diesem Augenblick nicht fliehe, nicht vereinfache und nicht lache, wenn ich mich in diesem Augenblick auf ein Nachspiel einlasse, obwohl ich einer Katastrophe entgegengehe, wenn ich die Dinge ergründe, dem Tod…
»Orlando.« Laura rückte näher an ihn heran. »Wir haben uns in San Cayetano kennengelernt. In der Hauptstadt sind wir ein Liebespaar geworden. Als du verschwandest, hast du mir einen Brief hinterlassen, in dem du
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