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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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bis ich dich benachrichtige. Das Tantchen soll bei dir bleiben. Ich schicke euch Geld. Ich muß mein Leben in Ordnung bringen. Ich erzähle dir bald alles, liebste Mutti. Ich vertraue dir Li Po an. Du hattest recht.«

 
VIII. Paseo de la Reforma: 1930
     
    »Manche Mexikaner sehen nur im Sarg gut aus.«
    Orlando Ximénez' Witz wurde von allen Gästen des Empfangs belacht, zu dem Carmen Cortina eingeladen hatte, um das Porträt ihrer Cousine, der Schauspielerin Andrea Negrete, vorzustellen, das Tizoc Ambriz, ein junger Maler aus Guadalajara, geschaffen hatte. Ambriz war im Handumdrehen zum gesuchtesten Porträtisten der guten Gesellschaft geworden und wurde von all jenen beauftragt, die sich nicht von den – kommunistischen und grauenhaften – Malern Rivera, Orozco oder Siqueiros verewigt sehen wollten, die man geringschätzig »die Fratzenkleckser« nannte.
    Carmen Cortina setzte sich jedenfalls über die Konventionen hinweg und lud all jene zu ihren Empfängen ein, die sie selbst »die Fauna der Hauptstadt« nannte. Als Elizabeth Laura zum erstenmal auf ein solches Fest mitnahm, mußte sie ihr erklären, wer die offiziellen Gäste waren, auch wenn die sich nicht von den »blinden Passagieren« unterschieden, die von der Gastgeberin geduldet wurden, weil sie ihrer großen gesellschaftlichen Anziehungskraft huldigten – denn wer, der etwas auf sich hielt, wollte sich nicht auf den Soireen Carmen Cortinas sehen lassen? Sie selber, eitel und halbblind, konnte nicht allzu genau auseinanderhalten, wer von den Anwesenden wer war, und man erzählte über sie, daß sie den Geruchs- und Tastsinn in den Rang einer großen Kunst erhoben habe, denn es genüge ihr, die kurzsichtigen Augen an die nächste Wange zu drücken, um sagen zu können: »Meine Liebe, wie charmant du aussiehst!« Oder sie berühre ein feines Kaschmirtuch und rufe: »Rudy, welche Freude, dich zu sehen!«
    Rudy war Rudy, und Orlando war einfach rüde: »Watch out!« sagte Carmen zu der gefeierten Andrea, einer Frau mit blendendweißer Haut und ständigem Schlafzimmerblick, unsichtbaren Brauen und einem Gesicht, dessen vollkommene Symmetrie von ihrem Mittelscheitel unterstrichen wurde. Ihr Haar wurde trotz der sinnenfrohen Jugend ihres zeitlosen Antlitzes kühn von zwei weißen Strähnen an den Schläfen verschönt. Aus diesem Grund nenne man sie respektlos »Die bunte Kuh«, und dabei denke man vor allem an ihr Geschick in der Kunst, anderen Hörner aufzusetzen, erklärte der unverbesserliche Orlando. Andrea werde in naher Zukunft schon das werden, was man eine üppige Frau nenne – »but not yet«. Sie sei wie eine voll ausgereifte, gerade gepflückte Frucht, die sich herausfordernd der Welt darbiete.
    »Iß mich«, sagte Andrea lächelnd.
    »Schäle mich«, antwortete tiefernst Orlando.
    »Frecher Kerl.« Carmen lachte hemmungslos.
    Das Bild, das Tizoc Ambriz gemalt hatte, war mit einem kleinen Vorhang bedeckt und wartete darauf, als Höhepunkt des Abends enthüllt zu werden, wenn Carmen, und nur Carmen allein, es bestimmte. Dazu aber mußten erst die Dinge an ihren Zenit gelangen, einen Augenblick vor dem Überkochen, nachdem die ganze »Fauna« versammelt war. Carmen stellte Listen im Kopf auf: Wer ist da, wer fehlt?
    »Du bist die Statistikerin des high life«, sagte ihr Orlando ins Ohr, das aber mit lauter Stimme.
    »Hör mal, ich bin nicht taub«, stöhnte Carmen.
    »Du bist einfach gut.« Orlando zwickte sie in den Hintern.
    »Frecher Kerl! Was heißt Statistikerin?«
    »Dabei geht es um eine moderne, aber untergeordnete Wissenschaft. Eine neuartige Methode, Lügen zu verbreiten.«
    »Was, was? Das muß ich unbedingt wissen.«
    »Ich will Vargas heißen, wenn ich daraus schlau werde.«
    »Pedro Vargas? Der ist die Sensation im Rundfunk. Hast du ihn gehört? Er singt in der ›W‹.«
    »Liebste Carmen, gerade hat man den Palast der Schönen Künste eröffnet. Laß mich mit der ›W‹ in Frieden.«
    »Was, dieses Mausoleum, das Don Porfirio halbfertig hinterlassen hat?«
    »Wir haben ein eigenes Sinfonieorchester. Geleitet von Carlos Châvez.«
    »Welcher Châvez?«
    »Der mit den vielen Möschen.«
    »Oh, scher dich zum Teufel, du bist unmöglich.«
    »Ich kenne dich, du stellst gerade Listen in deinem Köpfchen zusammen.«
    »!'m the hostess. It's my duty.«
    »Ich wette, daß ich deine Gedanken lesen kann.«
    »Orlando, man braucht bloß hinzusehen.«
    »Was siehst du, meine blinde Göttin?«
    »The mixture, darling, thé mixture. Es ist

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