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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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nach Xalapa gekommen bin, habe ich zu Hause ein Dienstmädchen eingestellt. Ihr wart mit der Tante schon hier. Wenn ihr jetzt zurückkommt, müßt ihr Carmela mit großem Respekt behandeln.«
    »Carmela. Aber ja, Mama.«
    Laura hatte eine Vorahnung. Sie bat Maria de la O, noch ein paar Tage mit den Kindern in Xalapa zu bleiben, während sie nach Mexico-Stadt zurückfuhr, um das Haus vorzubereiten. »Da wird es wüst aussehen, nachdem Juan Francisco so lange allein war, wo er doch so mit seiner Politik beschäftigt ist. Sobald ich alles in Ordnung gebracht habe, lasse ich euch kommen.«
    »Laura.«
    »Ja, Mutti!«.
    »Sieh mal, was du damals nach der Hochzeit vergessen hast.«
    Es war die chinesische Puppe Li Po. Es stimmte. Sie hatte nie wieder an sie gedacht.
    »Ach, Mama, wie leid mir das tut.«
    Sie überspielte ihre wirkliche Traurigkeit mit einem falschen Lachen.
    »Ich glaube, schuld daran ist, daß ich zur Li Po meines Mannes geworden bin.«
    »Möchtest du sie mitnehmen?«
    »Nein. Lieber soll sie hier an ihrem Platz auf mich warten, bis ich zurückkomme.«
    »Glaubst du, daß du zurückkommst, Tochter?«
    Als Laura mittags vom Bahnhof Buenavista kam, wobei der Zug die übliche Verspätung gehabt hatte, war niemand in dem Häuschen an der Avenida Sonora, weder Carmela noch Juan Francisco.
    Etwas war anders im Haus, das spürte sie. Eine besondere Stille. Etwas fehlte. Natürlich, die Kinder, das Tantchen, sie waren sonst im Haus zu hören, waren seine Freude. Sie hob die Zeitung auf, die unter der Garagentür steckte, und machte Pläne, wie sie den Tag verbringen wollte. Ob sie ins Ciné Royal ging? Was brachten sie dort?
    Sie schlug El Universal auf und fand sich einer Photographie von »Carmela« gegenüber. Man hatte die Karmelitin Gloria Soriano wegen Beihilfe zum Mord am gewählten Präsidenten Ălvaro Obregõn festgenommen. Man hatte sie in einem Haus in der Nähe des Bosque de Chapultepec aufgespürt. Als sie einen Fluchtversuch unternahm, hatte ihr die Polizei in den Rücken geschossen. Die Nonne war auf der Stelle tot.
    Den ganzen Tag über blieb Laura im Eßzimmer sitzen, wo sonst die politischen Versammlungen stattfanden. Die aufgeschlagene Zeitung lag auf dem Tisch, und Laura starrte unverwandt das Foto der totenblassen Frau mit den tiefen Augenringen und den pechschwarzen Augen an. Es dämmerte, und obwohl sie das Bild kaum mehr sehen konnte, machte sie kein Licht an. Dieses Gesicht kannte sie in- und auswendig. Es war das Gesicht einer moralischen Wiedergutmachung. Wenn ihr Juan Francisco all die Jahre über vorgehalten hatte, daß sie die katalanische Anarchistin in der Dachkammer nicht besucht hatte, wie konnte er sie jetzt tadeln, weil sie die verfolgte Nonne versteckt hatte? Selbstverständlich würde er ihr keine Vorwürfe machen, endlich würden sie sich in ihrer kämpferischen Menschenliebe gleich fühlen, sagte sich Laura und wiederholte: »Kämpferisch«.
    Juan Francisco kam um elf Uhr nachts heim. Das Haus war dunkel. Der kräftige, große Mann warf den Hut aufs Sofa, seufzte und machte Licht. Offensichtlich erschrak er, als er Laura erblickte, die vor der aufgeschlagenen Zeitung saß.
    »Ach, du bist schon zurück.«
    Laura nickte.
    »Hast du das von der Nonne Soriano schon gelesen?« fragte Lopez Greene.
    »Du meinst das von der Anarchistin Aznar.«
    »Ich verstehe dich nicht.«
    »Als du nach Xalapa gekommen bist, um die Gedenktafel an der Dachkammer zu enthüllen, hast du meinen Vater gelobt, weil er Armonfa Aznar Unterschlupf gewährt hatte. Damals habe ich dich kennengelernt und mich in dich verliebt.«
    »Natürlich. Sie war eine Heldin der Arbeiterklasse.«
    »Willst du mich nicht loben, weil ich eine Heldin der religiösen Verfolgung versteckt habe?«
    »Eine Nonne, die Präsidenten ermordet.«
    »Eine Anarchistin, die Zaren und Fürsten ermordet?«
    »Nein, Armonfa hat für die Arbeiter gekämpft, deine Carmela für die Pfaffen.«
    »Ach, es ist meine Carmela, nicht deine.«
    »Nein, nicht meine.«
    »Überhaupt kein Mensch, Juan Francisco, jemand von einem anderen Stern…«
    »Aus einer anderen, überwundenen Zeit, nichts weiter.«
    »Die deinen Schutz nicht verdient hatte.«
    »Eine Verbrecherin. Außerdem, wenn sie in aller Ruhe hiergeblieben wäre, wie ich es von ihr verlangt habe, hätte man sie nicht auf der Flucht erschossen.«
    »Ich wußte nicht, daß die Polizisten der Revolution genauso töten wie die der Diktatur: von hinten.«
    »Man hätte sie vor Gericht

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