Die Jahre mit Laura Diaz
dich bereit«, sagte er, ohne sie anzusehen, und nahm sie am Arm, so daß sie entschlossen wie zwei Christen wirkten, die die Löwenarena betraten. »Brace yourself, my dear. Das ist der Circus Maximus, auch wenn hier keine Löwen brüllen und du statt dessen das Muhen von Kühen und das Blöken von Schafen vernehmen kannst. Und, das ja, du kannst das Heulen von Wölfen heraushören. Avanti, popolo romano… Da kommt unsere Gastgeberin. Sieh sie dir genau an. Sieh sie an. Das ist Carmen Cortina. Drei Worte genügen, um ihr Wesen zu bestimmen: Trinken. Rauchen. Altern.«
»Darlings! Welche Freude, euch wiederzusehen… und immer noch zusammen! Wunder über Wunder!«
»Carmen, hör auf mit dem Trinken. Hör auf zu rauchen. Du wirst alt.«
»Orlando!« Die Hausherrin ließ ein schallendes Gelächter hören. »Was würde ich ohne dich machen? Du sagst mir die gleichen Wahrheiten wie meine Mama, Gott hab sie selig.«
Der Abend war stürmisch und hier drinnen nervenaufreibend.
»Denke, was du willst, und erwarte nicht, daß ich gut über meine Freunde rede«, sagte der düstere Maler zu dem weißgekleideten Kritiker, der wie üblich verkündete: »Wir sind alles Vogelscheuchen.«
»Das meine ich nicht. Es geht darum, daß ich nur Freunde habe, für die man nicht eintreten kann. Wenn sie meiner Freundschaft würdig sind, können sie nicht auch noch meinen Schutz verdienen. Niemand hat soviel verdient.«
»Nichts als Vogelscheuchen.«
»Das ist nicht das Problem«, griff ein junger Philosophieprofessor ein, den der wohlverdiente Ruhm eines hemmungslosen Verführers schmückte. »Es kommt darauf an, einen schlechten Ruf zu haben. Das ist die öffentliche Tugend im heutigen Mexiko. Ob du Plutarco Elias Galles oder Andrea Negrete heißt« – so sprach Ambrosio O'Higgins, denn das war der Name des großen, blonden, trübsinnigen Husserl-Spezialisten, dessen persönliche Phänomenologie eine ständig widerwillige Grimasse war und dessen Augen zwar schläfrig wirkten, dennoch aber eindeutige Absichten zeigten.
»Also, dich stellt keiner in den Schatten«, sagte die zu neuem Leben erwachte und soeben erwähnte Andrea Negrete, die sich nach dem Mißerfolg ihres letzten Films »Das Leben ist ein Jammertal« – mit dem Untertitel »Aber die Frau leidet mehr als der Mann« – in ein Kloster ihrer Heimatprovinz Durango zurückgezogen hatte, das von ihrer Großtante geleitet wurde und in dem, zusammen mit ihr, nur noch zwölf Cousinen gehaust hatten. »Meine Tante, die Äbtissin, und meine Cousinen, die Nonnen, haben überhaupt nicht gemerkt, daß sie mit mir zusammen am Tisch des Refektoriums dreizehn waren. Das sind ein paar ganz harmlose Heilige. Wer vor Angst beinahe umkam, war ich. Ich hatte Angst, daß mir das Pfefferfleisch im Hals steckenblieb. Und das muß man sagen, das beste Restaurant Mexikos ist das Kloster meiner Tante, der Schwester Maria Auxiliadora, das schwöre ich euch beim Allmächtigen.«
Sie küßte sich den gekreuzten Zeigefinger und Daumen der rechten Hand, und Laura schloß die Augen, um sich wieder einmal den Protz von Papantla und seinen Machetenhieb vorzustellen, die verstümmelten Finger der Großmutter Côsima, die abgeschnittenen Enden, von denen Blut unter der Hutkrempe des Chinacos hervorrann.
»Also dich stellt wirklich keiner in den Schatten«, sagte die Schauspielerin zum Philosophen.
»Doch. Du«, antwortete der junge Mann mit dem irischen Namen und den wie in einer Lähmung hochgezogenen Brauen.
»Dann müssen wir ausprobieren, ob wir zusammen ein Paar abgeben«, lächelte ihm Andrea zu.
»Dafür brauchte auch ich erst ein paar weiße Haare.« O'Higgins holte seine Pfeife heraus. »Oben und unten. Wobei, ich spreche von Haaren und nicht vom Sich-Paaren.«
»Ach, Junge, du bist so gut, daß du keine Moral brauchst.«
Andrea drehte ihnen den Rücken zu und stand dem Matrosen mit der kurzen Hose und dem lockigen Kinderstar gegenüber. Sie tauschten feinsinnige Drohungen aus.
»Eines Tages hole ich meinen kleinen Dolch heraus und durchlöchere dich wie ein Sieb.«
»Weißt du, was dein Problem ist, meine Beste? Du hast nur einen Hintern und willst in zwanzig Nachttöpfe kacken.«
»Hast du das mitgekriegt, Orlando? Sieh dir nur diesen hübschen Kerl an«, sagte Laura.
Orlando stimmte ihr zu, und die beiden betrachteten den jungen Mann, der von allen tatsächlich am besten aussah.
»Weißt du, daß er sich ständig aufmerksam im Spiegel betrachtet, seit wir gekommen sind?«
»Wir
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