Die Jahre mit Laura Diaz
betrachten uns alle im Spiegel, Laura. Das Schlechte ist nur, daß wir manchmal unser Spiegelbild nicht erkennen. Sieh dir Andrea Negrete an. Seit zwanzig Minuten posiert sie für sich allein, als würde sie von allen bewundert, aber niemand kümmert sich um sie.«
»Dich ausgenommen, wo du alles im Blick hast.« Laura streichelte ihrem Geliebten übers Kinn.
»Und der hübsche Junge, der sich die ganze Zeit im Spiegel betrachtet und mit keinem redet – Andrea«, Orlando machte ihr plötzlich ein Zeichen, »stell dich mal hinter den Jungen.«
»Den Adonis?«
»Kennst du ihn?«
»Er redet mit keinem. Er besieht sich bloß im Spiegel.«
»Stellst du dich hinter ihn? Tust du mir den Gefallen?«
»Was meinst du damit?«
»Zeig dich. Sei sein Spiegelbild. Danach sucht er. Sei sein Phantom. Ich wette, heute nacht schläfst du mit ihm.«
»Mein Lieber, du führst mich in Versuchung…«
Laura Rivière erschien in Begleitung eines hochmütig wirkenden dunkelhäutigen Mannes, »in den besten Jahren«, sagte Orlando zu Laura Dïaz, »er ist Millionär und ein sehr einflußreicher Politiker. Artemio Cruz, Geliebter Laura Rivières«, vertraute ihnen die klatschsüchtige Carmen Cortina an, die zu ihnen trat, »und niemand begreift, warum er nicht seine Frau verläßt. Sie stammt aus einem Dorf, ist spießig und provinziell – entschuldige, Laura, das ist keine Anspielung –, wenn er eine der vornehmsten Damen unserer Gesellschaft besitzt, ich betone, besitzt, c'est fou, la vie\« rief entrüstet Carmen, die Blinde, wie Orlando sie nannte, wenn der Überdruß ihn überwältigte.
»Meine liebe Laura.« Elizabeth trat zu ihrer Tanzfreundin aus Xalapa. »Hast du gesehen, wer gekommen ist? Siehst du, wie sie sich ins Ohr flüstern? Was will Artemio Cruz seiner Laura Rivière sagen, und warum getraut er sich nicht? Ach, und noch ein Rat, meine Liebe, wenn du einen Mann erobern willst, rede nicht: Atme, bloß atmen, ein bißchen keuchen, so. Das sage ich dir, weil ich manchmal höre, wie du allzu laut wirst.«
»Aber Elizabeth, ich habe bereits einen Mann.«
»Das weiß man nie, you never know… Aber ich wollte dir keine Atemvorträge halten, sondern dir sagen, daß du mir weiter deine Rechnungen schicken sollst, vom Frisör, für deine Garderobe, halte dich nicht zurück, Mädchen, dieser Blödmann Caraza hat mich gut ausgestattet, Geld ausgeben macht mir Spaß, und niemand soll behaupten, daß meine Freundin von Orlando Ximénez ausgehalten wird.«
Laura deutete ein unfreundliches Lächeln an: »Warum beleidigst du mich?«
»Ich dich beleidigen? Meine beste Freundin? Herrje!«
Elizabeth trocknete sich den Schweiß ab, der ihr in die Spalte zwischen den beiden schon sehr üppigen Brüsten perlte.
»Du willst also nichts mehr von mir wissen«, sagte Laura.
»Das verstehst du falsch.«
»Ich habe dir versprochen, meine Schulden zu bezahlen. Du kennst meine Lage.«
»Warten wir auf die nächste Revolution, meine Liebe. Mal sehen, ob es deinem Mann dann besser geht. Abgeordneter für Tabasco? Bring mich nicht zum Lachen. Das ist ein Staat von Pfaffenfressern und Schnapssäufern, nicht von Männern, die Steuern zahlen.«
Laura drehte Elizabeth den Rücken zu und ergriff Orlandos Hand. Es drängte sie zur Flucht. Lächelnd streichelte Orlando die Hand Lauras.
»Du willst doch im Fahrstuhl nicht mit dem schrecklichen Artemio Cruz zusammentreffen? Er soll ein Haifisch sein, und dich, meine Liebste, nehme nur ich zwischen die Zähne.«
»Sieh ihn dir an. Was für ein arroganter Kerl. Er hat Laura einfach stehenlassen.«
»Ich sage dir, er ist ein Hai. Und Haifische bewegen sich unaufhörlich. Sobald sie innehalten, sinken sie auf den Meeresgrund und sterben.«
Die beiden Lauras fühlten sich spontan zueinander hingezogen. »Die beiden Lauras haben ein trauriges Gesicht, welche Trauer plagt sie wohl, die zwei Prinzessinnen?« flüsterte Orlando im Stil Rüben Darfos und holte Gläser für alle.
»Warum ertragen wir das gesellschaftliche Leben?« fragte unvermittelt die Blondine.
»Aus Angst, glaube ich«, antwortete Laura Dîaz.
»Angst vor dem Reden, Angst davor, die Wahrheit zu sagen, Angst, daß man über uns lacht? Alle hier verfügen über einen ganzen Vorrat von Spaßen und Witzen, wit. Damit, mit diesen Schwertern verteidigen sie sich wie bei einem Turnier, dessen Preis in Ruhm, Geld, Sex und vor allem darin besteht, sich klüger als der andere zu fühlen. Willst du das, Laura?«
Laura schüttelte
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