Die Jahre mit Laura Diaz
die bewundernswerte, nervöse Geschäftigkeit ihrer Mutter. Leticia kochte, erledigte die Wege und bediente, während der Neger Zampayita halblaut auf dem Patio sang und sich der Pensionsgeruch allmählich in den Räumen breitmachte, weil es an Unterhaltungen fehlte. Es war der tote Duft einsamer Nächte, eiliger Besuche, vielzähliger Winkel, in denen sich, obwohl Leticia so angestrengt arbeitete und der Schwarze immer wieder fegte, Staub, Zeit und Vergessen anhäuften.
Denn Gäste gebe es im Moment nicht, obwohl jede Woche einer oder zwei kämen und es ermöglichten, die Pension bescheiden über Wasser zu halten, natürlich helfe auch Lauras Unterstützung für die Kinder. Mit zunehmender Betrübnis hörte die Tochter ihrer Mutter zu, und sie sehnte sich danach, mit ihr, ihrer Mutter Leticia, genau wie mit jeder anderen Frau in diesem Haus ohne Männer allein zu sein – sie wollte sie wachrütteln aus ihrer Apathie. Aber damit hätte sie nicht nur die Frauen beleidigt, es wäre reine Heuchelei gewesen, denn schließlich hatte Laura selbst zwei Jahre lang von der Barmherzigkeit Elizabeths gelebt, wobei sie den Monatsscheck Juan Franciscos, des CROM-Abgeordneten, in Zahlungen an Elizabeth, persönliche Ausgaben und einen kleinen Betrag für die in Xalapa aufgenommenen Kinder aufteilte, denn schließlich hatte Laura bis mittags geschlafen, nachdem sie bis drei Uhr morgens wachgeblieben war, nie hatte sie gehört, wie Orlando früher aufstand, um seinen geheimnisvollen Beschäftigungen nachzugehen, Laura hatte sich selbst etwas vorgemacht, wenn sie im Bett lag, las und sich sagte, sie vergeude ihre Zeit nicht, sie bilde sich, lese, was sie als junges Mädchen versäumt habe, nachdem sie Carlos Pellicer entdeckte habe, müsse sie Neruda und Lorca lesen und zu Quevedo und Garcilaso de la Vega zurückkehren. Zusammen mit Orlando besuchte sie den Palast der Schönen Künste, um Carlos Chävez als
Dirigenten von Werken zu erleben, die für sie alle neu waren, denn in ihrem Gedächtnis schwebte nur Chopin wie ein leichter Duft, ihn hatte Tante Hilda in Catemaco gespielt, und nun vereinten sich Bach, Beethoven und Berlioz, Ponce, Revueltas und Villa-Lobos zu einer weitgespannten Messe… Nein, so war es nicht: Sie hatte ihre Zeit nicht allein auf den Festen Carmen Cor-tinas vergeudet, wenn sie ein Buch las oder ein Konzert hörte, ließ sie ihre persönlichen, innersten und tiefsten Gedanken umherschweifen, weil sie – wie sie sich sagte – ihren Platz in der Welt finden, die in ihrem Leben eingetretenen Veränderungen begreifen und sich feste Ziele setzen wollte, die bestimmter waren als das leichte Ende – plötzlich war ihr, als läge sie wieder auf ihrem Jungmädchenbett und umarmte ihre Puppe Li Po –, als das leichte Ende ihres Ehelebens mit Juan Francisco oder gar das höchst angenehme Bohemienleben mit Orlando. Sie wollte Besseres für ihre Söhne Santiago und Danton, eine reifere, selbstbewußtere Mutter.
Sie war zurück im Elternhaus, und zu ihren Wurzeln zurückzukehren war das beste, was sie tun konnte: sich seelenruhig hinzusetzen und die Sprudelgetränke im La Jalapena zu genießen, einer Eisbar, die Don Antonio C. Bâez führte – »Dieser Betrieb süßt seine Getränke nicht mit Saccharin.« Sie besah sich die Schaufenster der Gebrüder Ollivier, die immer noch die Korsetts der Marke »La Opera« anboten, und in der Buchhandlung La Moderna von Don Raul Basânez blätterte sie in den europäischen Illustrierten, die ihr Vater Fernando Dïaz jeden Monat an der Mole von Veracruz so sehnsüchtig erwartet hatte. Sie betrat die Casa Wagner y Lieven am Parque Juärez, um für Tante Hilda die Partituren eines Komponisten zu kaufen, der ihr unbekannt sein mochte, Maurice Ravel. Orlando und Laura hatten seine Musik bei einem Konzert von Carlos Châvez im Palast der Schönen Künste gehört.
Die Frauen benahmen sich, als wäre nichts geschehen. Das war ihre Stärke. Sie lebten immer noch auf der Kaffeeplantage des aus Darmstadt im Rheinland stammenden Don Felipe Kelsen. Bei Tisch bewegten sie die Hände, als wäre das Besteck aus Silber und nicht aus Zinn, das Geschirr aus Porzellan und nicht aus gebranntem Ton, das Tischtuch aus Leinen und nicht aus Baumwolle. Auf etwas jedoch hatten sie nicht verzichtet. Jede
Frau hatte ihre eigene Serviette aus gestärktem Leinen, sorgfältig zusammengerollt und von einem Silberring mit dem Monogramm jeder einzelnen geschützt, einem V, einem H, einem MO, einem L, die
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