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Die Jangada

Die Jangada

Titel: Die Jangada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Herz unruhiger. Er schritt darauf zu und suchte die leblose Masse mit seinem Stocke aufzuheben.

    Es war nur der, schon bis zum Skelet reducirte Cadaver eines gewaltigen Kaimans, welchen die scharfe Strömung des Rio Negro bis in’s Bett des Amazonenstromes geschwemmt haben mochte.
    Benito wich entsetzt zurück, und trotz der entgegenstehenden Versicherungen des Steuermannes kam ihm doch der Gedanke, daß sich auch ein lebender Kaiman bis in die tieferen Wasserschichten des Beckens von Frias verirrt haben könne!…
    Er erwehrte sich jedoch jeder Furcht und setzte seinen Weg fort, um auch den Grund der Bodensenkung zu erreichen.
    Jetzt mochte er bis zur Tiefe von neunzig oder hundert Fuß vorgedrungen sein und also den Druck von ungefähr drei Atmosphären auf sich tragen. Wenn jene Bodensenkung noch weiter hinabreichte, so mußte er bald zur Einstellung seiner Nachforschungen genöthigt sein.
    Die Erfahrung hat nämlich gelehrt, daß eine Tiefe von hundertzwanzig bis hundertdreißig Fuß die äußerste Grenze darstellt, deren Ueberschreitung bei submarinen Untersuchungen mit ernstlicher Gefahr verknüpft ist, nicht allein weil der menschliche Organismus unter dem über ihm lastenden Drucke nicht mehr ausreichend functionirt, sondern weil auch schon die Hilfsmaschinen athembare Luft nicht mehr mit der nöthigen Regelmäßigkeit liefern.
    Benito war jedoch entschlossen, so weit vorzudringen, bis ihm die körperlichen Kräfte und die geistige Energie den Dienst versagten. Er fühlte sich durch eine Art unerklärlicher Ahnung nach jenem Abgrunde hingezogen; es schien ihm, als habe der todte Körper auf den Boden dieser Aushöhlung hinabrollen müssen, als werde sich Torres, beladen mit schwerwiegenden Gegenständen, wie etwa mit einem Gürtel mit Silber-oder Goldmünzen oder mit Waffen darin, in der bedeutenden Tiefe gehalten haben.
    Plötzlich bemerkte er in einer dunkleren Vertiefung einen Leichnam, ja, einen noch angekleideten Leichnam in der Lage eines Schlafenden, der den Kopf mit den Armen unterstützte!
    War das wohl Torres? Bei dem düsteren Lichte konnte er das nur schwierig unterscheiden; jedenfalls war es der Körper eines Menschen, der kaum zehn Schritte von ihm entfernt unbeweglich ausgestreckt lag.
    Eine qualvolle Erregung übermannte Benito. Sein Herz stand einen Augenblick still – er glaubte, die Besinnung zu verlieren. Noch einmal gewann sein fester Wille die Oberhand. Er schritt auf den Cadaver zu. Da, ganz unerwartet durchzuckte ein heftiger Schlag seinen bebenden Körper. Gleich einem langen Riemen wand sich ihm Etwas um den Leib, und trotz der dicken Taucherkleidung fühlte er sich wie von wuchtigen Peitschenhieben getroffen.
    »Ein Zitteraal!« sagte er.
    Es war ihm unmöglich, noch ein Wort über die Lippen zu bringen.
    In der That hatte ihn ein »Puraqué« – der Name, mit dem die Brasilianer die Gymnoten mit elektricitäterzeugenden Organen nennen – überfallen. Bekanntlich sind das eine Art Aale mit schwärzlicher, schleimig-klebriger Haut, welche längst des Rückens und Schwanzes einen, aus großen, der Länge nach, und kleinen, quer verlaufenden Lamellen gebildeten Apparat besitzen, der durch das Nervensystem des Thieres erregt werden kann und dadurch, in eigenthümliche elektrische Spannung versetzt, wirklich furchtbar erschütternde Schläge abzugeben vermag. Einzelne Abarten dieser Gymnoten erreichen kaum die Länge der gewöhnlichen Natter, andere werden bis zehn Fuß lang; zuweilen, jedoch nur selten, findet man Exemplare von fünfzehn bis zwanzig Fuß Länge bei einem Durchmesser von acht bis zehn Zoll.
    Die Zitteraale kommen ebenso im Amazonenstrome wie in dessen Zuflüssen sehr häufig vor, und eine dieser »lebendigen Batterien« von fast zehn Fuß Länge war es, die, sich zuerst lang ausstreckend, auf den Taucher zuschnellte.
    Benito wußte recht wohl, was er von dem Angriffe dieses schrecklichen Geschöpfes zu fürchten hatte.
     

    Benito wich entsetzt zurück. (S. 262.)
     
    Seine Kleidung erwies sich als unzulänglich, ihn zu schützen. Die anfänglich schwachen elektrischen Schläge des Zitteraales wurden allmählich heftiger und mußten weiter und weiter bis zu dem Moment zunehmen, wo jener sich durch Abgabe des elektrischen Fluidums selbst erschöpfte.
    Außer Stande, so gewaltige Erschütterungen zu ertragen, sank Benito langsam zu Boden. Die Ausströmungen des Zitteraales, der langsam an ihm hinstrich und dann seinen Körper umringelte, lähmten dem jungen Manne

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