Die Jangada
abzustehen. Wenn er jetzt nur noch auf den Zufall rechnete, so sollte, so mußte dieser Zufall ihm zu Hilfe kommen. Er suchte durch alle mögliche und unmögliche Mittel sein Ziel zu erreichen. Bei ihm war die Sache zur Phrenesie, zur Wuth, und was das Schlimmste ist, zur ohnmächtigen Wuth geworden.
Niemand möchte glauben, wie viel verschiedene, immer ganz willkürlich herausgegriffene Ziffern er noch am Abend dieses Tages durchprobirte. Hätte ihm die Zeit dazu nicht gefehlt, er würde es mit allen den Millionen von Combinationen versucht haben, welche die zehn Ziffern des Zahlensystems zuließen. Er hätte dieser Aufgabe gern sein ganzes Leben gewidmet, selbst auf die Gefahr hin, darüber zum Narren zu werden, und, wenn man es recht betrachtet, war er das nicht schon?
Da kam ihm auch der Gedanke, das Document müsse vielleicht von rechts nach links gelesen werden; wieder begann er zu probiren, wieder kam er zu demselben nichtigen Resultate, denn mit allen den schon untergelegten Ziffern gelang es ihm auch auf diese Weise nicht, nur ein Wort davon zu verstehen.
Vielleicht auch hatte man das ganze Document von rückwärts zu lesen und den letzten Buchstaben als den ersten zu betrachten, was der Schreiber desselben ja ersonnen haben mochte, um die Enträthselung noch mehr zu erschweren.
Vergeblich! Auch diese neue Combination ergab nichts weiter als eine Reihe sinnloser Buchstaben.
Um Acht Uhr Abends hatte der Richter Jarriquez, dem der Kopf in die Hand gesunken war, bei seiner geistigen und körperlichen Erschöpfung nicht mehr die Kraft, sich zu bewegen, zu sprechen, zu denken, oder wenigstens einen Gedanken an den anderen zu reihen.
Plötzlich entstand vor seiner Thüre Lärm. Fast gleichzeitig wurde die Thür seines Cabinets trotz seines gemessenen Befehls rasch geöffnet.
Benito und Manoel standen vor ihm. Benito entsetzlich anzusehen, Manoel diesen unterstützend, denn der unglückliche junge Mann vermochte sich kaum noch auf den Füßen zu erhalten.
Der Beamte stand schnell auf.
»Was giebt es, meine Herren, was wünschen Sie? fragte er.
– Den Schlüssel… den Schlüssel! rief Benito wahnsinnig vor Schmerz, den Schlüssel zu dem Document!…
– Kennen Sie denselben? fragte der Richter Jarriquez.
– Nein, Herr Richter, aber vielleicht Sie?…
– Ich weiß nichts… nichts.
– Nichts!« schrie Benito auf.
In seiner Verzweiflung zog er einen Dolch aus seinem Rocke und wollte sich denselben in’s Herz stoßen.
Der Beamte und Manoel fielen ihm in die Arme und hatten große Mühe, ihn zu entwaffnen.
»Benito, begann der Richter und zwang sich, so ruhig als möglich zu erscheinen, da Ihr Vater jetzt für ein Verbrechen büßen soll, das er nicht begangen hat, haben Sie wahrlich Besseres zu thun, als sich selbst umzubringen.
– Aber was… was?… schluchzte Benito.
– Sie müssen danach trachten, ihm das Leben zu retten!
– O, wie gern, aber wie?
– Das müssen Sie selbst errathen, erwiderte der Beamte, es ist nicht meine Sache, Ihnen das zu sagen!«
Fußnoten
1 400.000 Mark.
Sechzehntes Capitel.
Vorbereitungen.
Am folgenden Tage, am 30. August gingen Benito und Manoel miteinander zu Rathe. Sie glaubten den Gedanken des Richters, den dieser in ihrer Gegenwart nicht laut werden lassen wollte, verstanden zu haben, und überlegten nun, wie es möglich sei, dem Verurtheilten, welcher der Hinrichtung nicht entgehen zu können schien, bald zur Flucht zu verhelfen.
Einen andern Weg zur Rettung sahen sie nicht mehr offen.
Es war ja allem Anscheine nach vorauszusagen, daß jenes unlesbare Document für die Oberbehörden von Rio de Janeiro keinerlei Werth haben und als todter Buchstabe betrachtet werden würde; dann konnte das erst ergangene Urtheil, welches Joam Dacosta für den Urheber des Attentats erklärte, natürlich auch keine Aenderung erfahren, und der Befehl zur Hinrichtung mußte unvermeidlich eintreffen, weil gerade in diesem Falle eine Strafumwandlung vom Gesetz ausgeschlossen war.
Noch einmal mußte Joam Dacosta also sein Heil in schleuniger Flucht suchen, um sich der unverdienten Gefangenschaft und allen weiteren Eventualitäten zu entziehen.
Die beiden jungen Männer verabredeten zunächst, über ihre zu unternehmenden Schritte unbedingt Stillschweigen zu bewahren; weder Yaquita noch Minha sollten von ihrem Vorhaben unterrichtet werden. Sie fürchteten bei diesen damit vielleicht Hoffnungen zu erregen, welche zuletzt unerfüllt bleiben konnten. Denn wer konnte vorher
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