Die Jangada
zu stellen. Was er als Waffen zu seiner Vertheidigung bei sich führte, bestand nur in moralischen Beweisen. Wenn den Behörden vor oder nach seiner Verhaftung auch ein materieller Beweis geliefert werden konnte, so hätte er diesen gewiß gern für sich in Anspruch genommen; im Falle dieser Beweis aber in Folge bedauerlicher Umstände abhanden kam, so erschien ja seine Lage noch um nichts verschlimmert gegenüber derjenigen, in der er sich beim Ueberschreiten der Grenze Brasiliens befand, als er sich freiwillig stellen wollte mit den Worten: »Da habt Ihr meine Vergangenheit, hier mein gegenwärtiges Leben, ein ganzes Menschenalter treu erfüllter Pflicht, das ich opfere, um endlich das Geheimniß zu lüften, das mich bedrückt. Ihr habt früher ein ungerechtes Urtheil über mich gefällt! Nach dreiundzwanzig Jahren komme ich und stelle mich selbst. Hier bin ich! Nun gebt noch einmal Euer Urtheil ab!«
Torres’ plötzlicher Tod und die Unmöglichkeit, das bei ihm vorgefundene Document zu lesen, hatten auf Joam Dacosta also keineswegs einen so niederschlagenden Eindruck gemacht, wie auf seine Kinder, seine Freunde und Diener, wie auf alle Uebrigen, welche für ihn Interesse empfanden.
»Ich vertraue auf meine Unschuld, tröstete er Yaquita, und setze meine Hoffnung auf Gott. Wenn er glaubt, daß mein Leben noch Werth für die Meinigen habe, und es bedürfte eines Wunders, um dasselbe zu retten, so wird er auch dieses Wunder thun – wenn nicht, so werde ich sterben. Er allein, er ist der Richter!«
Je länger, je mehr verursachte die ganze Angelegenheit eine gewisse Erregung in Manao und wurde mit einer Lebhaftigkeit ohne Gleichen besprochen. Inmitten dieser Erhitzung der öffentlichen Meinung, welche so leicht gegenüber jeder, durch ihre geheimnißvolle Natur doppelt interessanten Angelegenheit eintritt, bildete das Document fast den einzigen Gegenstand der Unterhaltung. Zu Ende des vierten Tages schon zweifelte Niemand mehr daran, daß dasselbe die Rechtfertigung des Verurtheilten enthalte.
Uebrigens war jetzt Jedermann Gelegenheit geboten, seinen Witz an der Entzifferung der so wichtigen Geheimschrift zu üben. »Das Diario d’o Grand Para« hatte nämlich ein Facsimile derselben veröffentlicht. Autographirte Exemplare wurden in großer Anzahl verbreitet, und zwar auf Veranlassung Manoels, der nichts verabsäumen wollte, was zur Entschleierung des Geheimnisses irgend beitragen zu können versprach, nicht einmal den Zufall, den »Kriegsnamen«, wie man gesagt hat, den die Vorsehung zuweilen annimmt.
Ueberdies winkte Demjenigen, der die richtige Ziffer fand, welche das Verständniß des Documentes ermöglichte, eine Belohnung von hundert Contos. 1 Das war schon ein Vermögen zu nennen. Und wie viel Leute aus allen Gesellschaftsclassen vergaßen auch darüber Essen und Trinken und den Schlaf dazu, nur um das allen Bemühungen trotzende Kryptogramm in verständliche Worte zu übersetzen!
Bisher erwies sich jedoch Alles als vergeblich und wahrscheinlich hätten auch die gewandtesten Analytiker der Welt ihren Scharfsinn damit erfolglos angestrengt.
Es war daneben auch zur allgemeinen Kenntniß gebracht worden, daß die etwaige gefundene Lösung ohne Verzug dem Richter Jarriquez, in dessen Wohnung in der Straße Gottes des Sohnes, mitzutheilen sei; auch am Abend des 29. August war noch keine Meldung eingelaufen, und aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine solche auch nicht zu rechnen.
Von Allen, die sich mit dem Studium dieser schwierigen Aufgabe beschäftigten, verdiente gewiß der Richter Jarriquez das größte Mitleid. In Folge einer ganz natürlichen Ideenassociation theilte auch er die allgemeine Ansicht, daß das Document mit der Affaire von Tijuco zusammenhänge, daß es von der Hand des Schuldigen selbst aufgesetzt sei und die Rechtfertigung Joam Dacosta’s enthalten werde. Das trieb ihn nur um so mehr, den Schlüssel zu finden. Es leitete ihn nicht allein »die Liebe zur Kunst«, sondern auch ein gewisses Gefühl der Gerechtigkeit und des Mitleids für einen Mann, der fälschlicher Weise verurtheilt worden war.
Wenn es wahr ist, daß durch die Thätigkeit des Gehirns eine gewisse Menge Phosphor aus dem Gewebe desselben verbrannt wird, so möchte es schwierig sein, anzugeben, wie viel Milligramm der Beamte daran setzte, um sein »Sensorium« zu erwärmen und am letzten Ende doch nichts, nichts zu finden!
Der Richter Jarriquez dachte deswegen jedoch nicht etwa daran, von ferneren Versuchen
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