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Die Jangada

Die Jangada

Titel: Die Jangada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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einzuweihen? Nein! Das hatte den Ausschlag gegeben, den Rath des Richters Ribeiro zu befolgen und eine Wiederaufnahme seines Processes zu beantragen, um endlich seine Rehabilitation zu erlangen. So war er mit allen Angehörigen abgereist; da trat ihm Torres in den Weg, da bot ihm dieser den schmählichen Handel an, seine Tochter zu verkaufen, um sich Ehre und Leben zu retten, ein Handel, der, als er denselben entrüstet ablehnte, seine Denunciation und Verhaftung zur Folge hatte…
    In diesem Augenblicke wurde das Fenster von außen mit Gewalt aufgestoßen.
    Joam Dacosta erhob sich; die Bilder seiner Vergangenheit verschwanden wie ein wesenloser Schatten. Durch das Fenster war Benito in’s Zimmer gesprungen und stand kaum vor seinem Vater, als Manoel, der sich ebenfalls durch die Lücke im Eisengitter zwängte, neben dem Freunde erschien.
    Joam Dacosta wollte erschreckt einen Schrei ausstoßen, doch Benito ließ ihm gar nicht die Zeit dazu.
    »Mein Vater, begann er, sieh dort das Fenster, dessen Gitterstäbe ausgebrochen sind… Ein Tau hängt von da hinab bis zur Erde! Hundert Schritte von hier wartet im Kanal eine Pirogue. Araujo befindet sich da, um Dich fern von Manao nach der anderen Seite des Amazonenstromes zu bringen, wo Niemand Eure Spuren finden kann!… Mein bester Vater, Du mußt, Du mußt augenblicklich entfliehen. Der Richter Jarriquez selbst hat mir diesen einzigen Rath gegeben.
    – Es muß sein! fügte auch Manoel hinzu.
    – Fliehen! Ich!… Ein zweites Mal fliehen!…«
    Mit gekreuzten Armen und stolz erhobenem Kopfe trat Joam Dacosta in den Hintergrund des Zimmers zurück.
    »Niemals!« rief er mit fester Stimme, so daß die beiden jungen Männer ihn sprachlos anstarrten.
    Benito und Manoel hatten diese Weigerung nicht erwartet. Wenn sie Alles fürchteten, das Eine war ihnen nie in den Sinn gekommen, daß die geplante Entweichung an dem Widerstande des Gefangenen selbst scheitern sollte.
    Benito ging auf seinen Vater zu, sah ihm voll in’s Gesicht und ergriff dessen Hand, nicht um ihn fortzuziehen, aber damit er ihn anhörte und sich überreden ließe.
    »Du sagst niemals, mein Vater?
    – Niemals!
    – Mein Vater, begann da Manoel – denn ich glaube auch das Recht zu haben, dieses Wort zu gebrauchen – mein Vater, hören Sie uns an! Wenn wir Ihnen sagten, daß Sie entfliehen müssen, ohne eine Secunde zu verlieren, so geschah es, weil Sie sich sonst gegen die Ihrigen, gegen sich selbst versündigen!
    – Hier zu bleiben, Vater, fuhr Benito fort, heißt nur warten auf den Tod! Der Befehl zur Hinrichtung kann jeden Augenblick eintreffen. Du irrst Dich, zu glauben, daß die Gerechtigkeit der Menschen hinreichen müsse, ein früheres falsches Urtheil jetzt zu berichtigen und Den wieder in Ehren anzuerkennen, dem vor zwanzig Jahren das Schwert des Henkers drohte. Es ist nichts mehr zu hoffen! Du mußt fliehen… schleunigst entfliehen!«
    Unwillkürlich hatte Benito seinen Vater ergriffen und suchte ihn nach dem Fenster hin zu ziehen.
    Joam Dacosta entwand sich seinem Sohne und trat noch einmal weiter zurück.
    »Entfliehen, sagte er mit dem Tone eines Mannes, dessen Entschluß unerschütterlich feststeht, aber wenn ich fliehe, entehre ich mich und mit mir auch Euch. Damit gestände ich meine Schuld nur zu; da ich freiwillig gekommen bin, mich den Behörden meines Vaterlandes zu stellen, so muß ich deren Entscheidung abwarten, diese mag nun ausfallen wie sie will, und ich werde es thun!
    – Die Unterlagen, auf welche Sie sich stützen, erwiderte Manoel, sind dem Gesetze nicht genügend, und der greifbare Beweis Ihrer Unschuld ist nicht vorhanden. Wenn wir Sie anflehen, zu entfliehen, so geschieht es auf des Richters Jarriquez Rathschlag selbst. Jetzt haben Sie nur noch den einen Ausweg, dem Tode zu entrinnen!
    – So werde ich also sterben, sagte Joam Dacosta ruhig. Ich werde den Tod erleiden mit dem Widerspruch gegen das Urtheil, das mich trifft, auf den Lippen. Einmal schon bin ich kurz vor der Stunde der Hinrichtung entflohen. Gewiß! Aber damals war ich jung, ich hatte ein ganzes Leben vor mir, um gegen die Ungerechtigkeit der Menschen anzukämpfen. Aber mich jetzt zu retten, die traurige Existenz eines Schuldigen, der sich unter falschem Namen verbirgt, noch einmal zu beginnen, dessen einzige Bemühungen darauf gerichtet sind, den Nachforschungen der Polizei zu entgehen; dieses Leben voll Angst, das ich dreiundzwanzig Jahre lang geführt habe, wieder anzufangen und Euch zu zwingen, es mit

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