Die Jangada
er seit über zwanzig Jahren sein ganzes Glück gefunden und verborgen hatte.
Dann kam er langsamen Schrittes zu seiner Frau zurück. Sein Gesicht belebte ein anderer Ausdruck; der eines Mannes, der, wenn auch schwer, zu einem Entschlusse gelangt ist und der alles Zweifeln und Zaudern hinter sich hat.
»Du hast Recht! redete er Yaquita mit fester Stimme an. Diese Fahrt ist nothwendig! Wann willst Du, daß wir abreisen?
– Ach Joam, lieber Herzens-Joam, rief Yaquita ganz außer sich vor Freude, nimm meinen Dank, nimm auch den Dank der Kinder!«
Freudenthränen perlten ihr aus den Augen, während ihr Gatte sie zärtlich an’s Herz drückte.
Da hörte man von draußen an der Thür der Wohnung lustige Stimmen.
Gleich darauf erschien Manoel und Benito auf der Schwelle, fast gleichzeitig mit Minha, welche eben aus ihrem Zimmer kam.
»Der Vater ist einverstanden, meine Kinder! rief Yaquita. Wir reisen Alle nach Belem!«
Mit ernstem Gesicht und ohne selbst ein Wort zu sagen, nahm Joam Garral den Dank seines Sohnes entgegen und empfing die zärtlichen Küsse seiner Tochter.
»Und wann, lieber Vater, fragte Benito, meinst Du, daß die Hochzeit vor sich gehen soll?
– Wann?… erwiderte Joam,… wann?… Nun, das wird sich finden! Das bestimmen wir in Belem!
– O, wie glücklich, wie selig ich bin! jauchzte Minha, ganz wie an dem Tage, als Manoel um sie warb. Wir werden also den Amazonenstrom sehen in all’ seiner Pracht, auf dem ganzen Laufe durch die Gebiete Brasiliens! Ach, Dank, liebster Vater, tausend, tausend Dank!«
Die junge Enthusiastische, deren Einbildung schon die Flügel ausbreitete, lief zu ihrem Bruder und zu Manoel.
»Nun schnell zur Bibliothek! rief sie. Holen wir alle Bücher, alle Karten, die uns über dieses herrliche Strombecken Auskunft geben können. Wir wollen nicht als Blinde reisen! Ich will Alles wissen, Alles sehen über diesen König der Flüsse unserer Erde!«
Fünftes Capitel.
Der Amazonenstrom.
»Der größte Fluß der ganzen Welt!« 1 sagte am folgenden Tage Benito zu Manoel Valdez.
Beide saßen eben an der Südgrenze der Fazenda am Uferabhang und betrachteten die aus der Andenkette herkommende Wassermasse, welche sich hier langsam dahinwälzte, um sich nach einem Laufe von achthundert Meilen im Atlantischen Ocean zu verlieren.
»Und derjenige Strom, welcher dem Meere die beträchtlichste Wassermenge zuführt! setzte Manoel jenen Worten hinzu.
– Eine so beträchtliche, fuhr Benito fort, daß jenes noch sehr weit von dessen Mündung keinen Salzgehalt aufweist und Schiffe in der Entfernung von vierundzwanzig Meilen aus ihrem Kurse getrieben werden.
– Ein Fluß, dessen Lauf sich über eine Strecke von dreißig Längengraden ausdehnt.
– Und in einem Becken, das von Norden nach Süden nicht weniger als fünfundzwanzig Grad mißt.
– Ein Becken! rief Benito, ist sie ein Becken zu nennen, diese ungeheure Ebene, durch welche der Riese unter den Flüssen strömt, diese Savanne, welche sich auf unsichtbare Ferne hinausstreckt, ohne einen Hügel, um von einer Steigung derselben sprechen zu können, ohne einen Berg, der dieselbe am Horizonte begrenzte?
– Und in seiner ganzen Ausdehnung, fuhr Manoel fort, gleich den tausend Fühlfäden eines gigantischen Cephalopoden, zweihundert, von Norden oder Süden herzuströmende Nebenflüsse, jeder derselben gespeist von zahlreichen Armen, neben welchen die Ströme Europas nur wie Bäche erscheinen!
– Eine Wasserader, in der fünfhundertsechzig Inseln – die Eilande ungezählt, welche theils mitten im Flußbette liegen, theils nur durch die Fluthen vom Ufer abgerissen wurden – einen Archipel bilden, aus dem man allein schon ein Königreich machen könnte!
– Und zu seinen Seiten Kanäle, Lagunen und Seen, wie man sie weder in der Schweiz, der Lombardei, noch in Schottland oder Canada wiederfindet!
– Ein Strom, der mit seinen Zuflüssen binnen einer Stunde nicht weniger als zweihundertfünfzig Millionen Kubikmeter Wasser in den Atlantischen Ocean entleert!
– Ein Strom, der die Grenze zweier Republiken bildet und sich majestätisch durch das größte Reich Südamerikas dahinwälzt, als wäre es der Stille Ocean selbst, der sich hier durch einen Kanal in den Atlantischen Ocean ergösse!
– Und durch welche Mündung! Ein Meeresarm, in dem eine Insel, Marajo, einen Umfang von mehr als fünfhundert Meilen aufweist!…
– Und dessen Wassermassen der Ocean nicht anders zurückdrängen kann, als durch einen fürchterlichen
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