Die Jangada
unverzüglich in Angriff genommen. (S. 76.)
Manoels Bemühungen gelang es inzwischen, den armen Teufel wieder zum Leben zu bringen. Er schlug die Augen auf und stieß plötzlich ein so heftiges »Hum« hervor, daß die erschreckte Lina durch einen zweiten Schrei darauf antwortete.
»Wer seid Ihr, lieber Freund? fragte Benito.
– Nun, wie mir scheint, ein Ex-Gehenkter!
– Und Ihr Name?
– Gedulden Sie sich einen Augenblick, ich muß mich erst besinnen, erwiderte der Mann, mit der Hand über die Stirne streichend. Ah, richtig, ich heiße Fragoso und kann Sie, wenn es Ihnen beliebt, noch frisiren, rasiren, überhaupt das Haar nach allen Regeln der Kunst behandeln. Ich bin Barbier oder vielmehr einer der verzweifeltsten aller Figaros!…
– Wie konnten Sie aber auf den Gedanken kommen…?
– Ja, was meinen Sie, entgegnete Fragoso lachend, ein Augenblick der Verzweiflung, den ich gewiß später bedauert hätte, wenn das in der andern Welt möglich ist. Wenn man jedoch achthundert Meilen weit durch das Land laufen soll ohne eine Pataque in der Tasche, das ist auch keine schöne Zuversicht! Ich hatte eben den Muth verloren und einem Anderen wär’s vielleicht nicht besser gegangen!«
Fragoso war übrigens eine recht ansprechende Erscheinung. Man sah, je mehr er sich erholte, daß er sonst ein lustiger Patron sein mochte; er gehörte zu den umherziehenden Barbieren, die längs der Ufer des oberen Amazonenstromes ein Nomadenleben führen, von Dorf zu Dorf wandern und ihr Geschäft unter den Negern und Negerinnen, Indianern und Indianerinnen betreiben, bei denen sie in hohem Ansehen stehen.
Der arme verlassene Figaro hatte seit vierzig Stunden keinen Bissen gegessen, sich im Walde verirrt und einen Augenblick den Kopf verloren… Das Uebrige ist bekannt.
»Lieber Mann, sagte Benito, Sie werden mit uns nach der Fazenda von Iquitos gehen.
– Wie Sie befehlen und mit dem größten Vergnügen! antwortete Fragoso. Sie haben mich aus der Schlinge befreit, nun gehöre ich ganz Ihnen. Sie hätten mich nicht abschneiden sollen!
– Nun, liebe Herrin, begann Lina, thaten wir recht daran, unseren Spaziergang so weit auszudehnen?
– Das will ich meinen! bestätigte das junge Mädchen.
– Wahrhaftig, sagte Benito, das hätte ich mir nicht träumen lassen, daß wir am Ende des Cipo einen Menschen finden sollten.
– Und noch dazu einen Barbier in der Noth, der sich eben aufbaumeln wollte!« setzte Fragoso hinzu.
Der arme Teufel wurde, als er sich wieder beruhigt hatte, von dem Vorgefallenen unterrichtet. Er dankte Lina herzlich für den guten Gedanken, dieser Liane nachzugehen, und Alle schlugen den Weg zur Fazenda ein, wo Fragoso so aufgenommen wurde, daß er weder Lust noch Veranlassung hatte, auf sein trauriges Vorhaben zurückzukommen.
Achtes Capitel.
Die Jangada.
Die halbe Quadratmeile Wald war niedergelegt. Die Zimmerleute gingen nun an’s Werk, die oft mehrhundertjährigen, am Strande liegenden Bäume zu einem Floße zusammenzustellen.
Unter Joam Garral’s Leitung entwickelten die auf der Fazenda angestellten Indianer ihre für solche Arbeit wirklich unvergleichliche Geschicklichkeit. Gerade bei Errichtung von Gebäuden oder der Construction von Wasserfahrzeugen kann man sich bessere Arbeiter als diese Eingebornen gar nicht denken. Sie gebrauchen nur Axt und Säge und bearbeiten damit so harte Holzarten, daß die Schneide ihrer Werkzeuge oft genug schartig wird; sie mögen aber Baumstämme vierkantig zurichten, oder Bretter, Planken, Pfosten aus den gewaltigen Stämmen schneiden immer gelingt das ohne Mithilfe mechanischer Einrichtungen ihren geschickten geduldigen und von Natur gewandten Händen überraschend leicht.
Die gefällten Bäume waren nicht gleich in das Bett des Amazonenstromes geschafft worden. Joam Garral pflegte anders zu Werke zu gehen. Man hatte jene vielmehr symmetrisch auf der flachen, etwas geneigten Uferecke des Nanay und des Hauptstromes niedergelegt, nachdem die Stelle nochmals etwas abgegraben worden war. Hier wurde die Jangada zusammengestellt, und der Amazonenstrom sollte das riesige Fahrzeug selbst flott machen, wenn die Zeit der Abreise herankam.
Wir müssen hier einige Worte über die geographische Anordnung des gewaltigen Stromes einfügen, die ihres Gleichen wohl nicht hat, und über eine eigenthümliche Erscheinung an demselben, welche die Anwohner Alle aus Erfahrung kennen.
Die beiden Ströme, welche vielleicht noch länger sind als die große Wasserader Brasiliens,
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