Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jangada

Die Jangada

Titel: Die Jangada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
reichte, erschien zuweilen ein Pärchen vier bis fünf Fuß hoher Strauße, von der Familie der »Naudus«. Sie trabten dahin in Begleitung der von ihnen unzertrennlichen »Seriemas«, einer Art Truthühner, welche eine weit schmackhaftere Speise abgeben als die großen Vögel, deren Escorte sie bilden.
    »Das habe ich nun von meinem voreiligen Versprechen! grollte Benito, während er auf einen Wink seiner Schwester das Gewehr, das er schon angeschlagen hatte, wieder unter den Arm nahm.
    Die Seriemas sollten überhaupt geschont werden, sagte Manoel, denn sie vernichten viele Schlangen.
    – So wie man die Schlangen schonen sollte, versetzte Benito, weil sie viele schädliche Insecten vertilgen, und diese, weil sie die noch schädlicheren Blattläuse verzehren. Von diesem Standpunkt aus gesehen, würde man Alles schonen müssen!«
    Die Selbstüberwindung des jungen Jägers sollte aber auf eine noch weit härtere Probe gestellt werden. Flüchtige Hirsche und graziöse Rehe eilten durch den Wald, denen eine gut gezielte Kugel schnell Halt geboten hätte. Da und dort zeigten sich milchkaffeefarbige Truthühner, Peccaris, eine Art wilder, von Feinschmeckern sehr geschätzter Schweine, Agoutis, ähnlich den Kaninchen und Hafen Mittelamerikas, Gürtelthiere mit mosaikähnlichem Schuppenpanzer, zur Ordnung der Zahnlosen gehörig.
    Benito bewies schon mehr als die Tugend des Gehorsams, eher konnte man sagen, einen wirklichen Heroismus, wenn ihm unter Anderem gar ein Tapir, ein »Antas«, wie diese Thiere in Brasilien genannt werden, vor Augen kam, einer jener, an den Ufern des Amazonenstromes und seiner Nebenflüsse fast kaum noch vorkommenden verkleinerten Elephanten, jener Dickhäuter, welchen die Jäger ihrer Seltenheit wegen so eifrig nachstellen und welchen ihr Fleisch, das dasjenige des Ochsen an Güte weit übertrifft und von dem die Nackentheile einen, jeder königlichen Tafel würdigen Braten liefern, so hohen Werth verleiht.
    Wahrlich, die Flinte brannte ihm in der Hand; treu seinem Versprechen aber ließ der junge Mann die Waffe in Ruhe.
    Inzwischen entschuldigte er sich doch bei seiner Schwester, daß ihm ein Schuß wider seinen Willen abbrennen könnte, wenn ihm ein. »Tamandoa assa« gar zu nahe käme, einer jener merkwürdigen großen Ameisenbären, dessen Erlegung in den cynegetischen Annalen stets als Meisterschuß gepriesen wird.
    Glücklicherweise ließ sich aber kein Ameisenbär sehen, so wenig wie Panther, Leoparden, Jaguars, Guepards, Cuguars u. s. w., welche man in Südamerika gewöhnlich unter dem Namen Onças zusammenfaßt und die man sich nicht so nahe auf den Leib kommen lassen darf.
    »So spazieren zu gehen, begann da Benito, einen Augenblick stehen bleibend, das ist zwar ganz schön und gut, aber ohne Zweck und Ziel dahinzuschlendern…
    – Ohne Zweck und Ziel, unterbrach ihn seine Schwester, unser Zweck ist zu sehen, zu bewundern, zum letzten Male diese Urwälder Centralamerikas, die wir in Para nicht wiederfinden werden, zu besuchen und ihnen Lebewohl zu sagen!
    – Da kommt mir ein Gedanke! ließ sich plötzlich Lina vernehmen.
    – Ein Gedanke Linas, meinte Benito kopfschüttelnd, kann doch nur auf einen tollen Streich hinauslaufen!
    – Es ist nicht recht von Dir, lieber Bruder, warf das junge Mädchen ein, in dieser Weise über Lina abzusprechen, vorzüglich wenn sie einen Zweck unseres Spazierganges angeben will, dessen Mangel Du eben bedauertest.
    – Und um so mehr, fügte die junge Mulattin hinzu, als ich überzeugt bin, daß mein Vorschlag Ihnen gefallen wird.
    – Und worin besteht dieser? fragte Minha.
    – Sie sehen doch Alle dort die Liane?«
    Lina wies bei diesen Worten nach einer Liane von der Art der »Cipos«, die eine gewaltige Mimose umschlang, deren federleichte Blätter sich schon bei der leisesten Berührung zusammenfalten.
    »Nun, und was ist damit? fragte Benito.
    – Ich schlage vor, erklärte Lina, wir versuchen, dieser Liane bis an’s Ende nachzugehen!…
    – Wahrlich, das ist ein Gedanke, ein Ziel! rief Benito. Dieser Liane zu folgen, welche Hindernisse das auch bieten mag, sich weder durch Dickichte und Buschwerk, noch durch Felsen, Bäche, Wasserfälle, überhaupt durch nichts abhalten zu lassen; wenn es nöthig wäre, selbst…
    – Ja, ja, Du hast Recht, lieber Bruder, unterbrach ihn Minha; Lina ist doch immer eine kleine Närrin!
    – Ei, ei! antwortete ihr Bruder, Du sagst blos, daß Lina eine Närrin sei, um nicht auszusprechen, daß Benito ein Narr sein

Weitere Kostenlose Bücher