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Die Janus-Gleichung

Die Janus-Gleichung

Titel: Die Janus-Gleichung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Spruill
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offen gelassen, und er konnte sie reden hören, als er sich dem Zimmer näherte.
    »… schon fünf Minuten über die Zeit.«
    »Meine Herren, ich bitte Sie.« Das war Winters’ Stimme. »Dr. Essian ist ein vielbeschäftigter Mann. Es ist gut möglich, daß er an unserer heutigen Besprechung nicht teilnehmen kann.«
    Essian hielt kurz vor der Tür inne. Der Konferenzraum gehörte zu einem Zimmerpaar, wovon sich jeweils eines auf jeder Seite eines Sackgassenkorridors befand. Der Gang war leer – es gab niemanden, der ihn lauschend vor der Tür stehen sah.
    »Kann nicht an der Besprechung teilnehmen? Wovon reden Sie, Winters? Dieser Ausschuß ist…«
    »Einen Augenblick, John«, unterbrach ihn eine andere Stimme, die Essian als die des Vorsitzenden erkannte. »Dr. Winters, Sie sagten, er sei beschäftigt. Beschäftigt womit?«
    »Selbstverständlich mit der Gleichung.« Winters’ Stimme klang ruhig, fast gelassen; ein Beruhigungsmittel für die Kampflust der anderen Ausschußmitglieder.
    »Aha, mit der Gleichung ist er also beschäftigt? So ist uns das nicht bekannt.«
    »Dann haben sich Ihre Quellen eben geirrt.«
    »Ich glaube kaum…«
    »Meine Herren.« Winters’ Tonfall war leicht ironisch. »Dr. Essian beschäftigt sich ja nun nicht mit einem wohlbekannten mathematischen oder physikalischen Problem, sondern er arbeitet an einer Sache von nicht dagewesener Wichtigkeit.«
    »Er hat uns einen Zeitplan aufgestellt.«
    »In guter Absicht, weil Sie ihn verlangt haben. Ich wußte von vornherein, daß man sich bei diesem Projekt an keinerlei Zeitpläne würde halten können, und ich habe Dr. Essian sogar angewiesen, Sie davon zu überzeugen, aber er ist nun mal ein unverbesserlicher Optimist.«
    Essian draußen im Gang mußte grinsen. Trotzdem war er über Winters’ Verhalten beunruhigt. Man sollte einem Projektausschuß besser nicht gestehen, daß man eine seiner Forderungen ablehnte.
    »Das ist purer Blödsinn, Winters«, schnappte der Vorsitzende ein.
    »Es ist die reine Wahrheit.«
    Himmel Eric. Nicht so forsch.
    »Wir befassen uns hier mit einem reinen Forschungsprojekt«, fuhr Winters fort. »Ein solches Projekt kann, wie Sie alle wissen sollten, nicht auf Kommando irgendwelche Fortschritte erzielen.«
    »Belehren Sie uns nicht über das Wesen der Wissenschaft, Winters.«
    »Dann belehren Sie mich aber bitte auch nicht mit solchem Blödsinn.« Winters’ Stimme war noch immer ruhig; ruhig, aber auf verhaltene Weise befehlend.
    Essian wollte den Raum betreten, um Winters vor dem Sturm, der jetzt losbrechen mußte, zu bewahren, aber seine Füße rührten sich einfach nicht vom Fleck, und er wußte, daß er Angst hatte; er hatte Angst hineinzugehen und sich dem Zorn zu stellen, mit dem Winters so hervorragend fertig wurde.
    »Wir werden Ihre Unverschämtheiten nicht weiter dulden, Dr. Winters.« Die Stimme des Vorsitzenden klang verdrießlich; trotz der tadelnden Worte schien sie unsicher zu sein. »Sie werden Dr. Essian mitteilen, daß er hier morgen zur Berichterstattung zu erscheinen hat, denn sonst…«
    »Entschuldigen Sie bitte«, unterbrach ihn Winters. »Am Ende der Sitzung wird sich herausstellen, daß ich keineswegs unverschämt war. Weiterhin halte ich es für unklug, an Dr. Essian mit irgendwelchen besonderen Forderungen heranzutreten, solange er sich bemüht, den toten Punkt der Janus-Gleichung zu überwinden.«
    »Sie glauben…«
    »Ja. Und als Chef dieses Projektes werde ich es mir auch weiterhin erlauben, nachzudenken und Vorschläge zu unterbreiten, die im Interesse des Projektes und von Meridian sind. Ich kann nicht im Ernst glauben, daß Sie, meine Herren, etwas anderes von mir erwarten.«
    »Nein, natürlich nicht. Wir wollten damit nicht sagen…« Der Vorsitzende verstummte.
    Essian drehte sich um und ging, seine Gedanken ordnend, den Gang hinunter. Er fühlte Erleichterung, ja, aber auch Ärger über die Leichtigkeit, mit der Winters den Planungsausschuß unter Kontrolle gehalten hatte. Es war niemals ganz klar, was alles in diesem Mann steckte. Essian erkannte, daß das, was er immer für Passivität gehalten hatte, keine sein konnte. Winters war überhaupt nicht aggressiv, und trotzdem konnte keiner in dem Raum gegen ihn antreten und es mit ihm aufnehmen. Essian ging in sein Büro, schloß die Tür hinter sich und ließ die ungeordneten Gedanken und gemischten Gefühle über Winters erst einmal zur Ruhe kommen. Die Sprechanlage summte, und im selben Augenblick öffnete sich die Tür.

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