Die Jerusalem-Krise
der beiden Hauptpersonen nachdenken. Den Mann im grünen Mantel will ich außen vorlassen. Henry St. Clair hat gelebt, als es dem Templerorden bereits schlecht ging. Er hat versucht, das Gold in Sicherheit zu bringen. Er ist mit Schiffen über das Meer in Richtung Westen gefahren, aber er hat nicht den gesamten Schatz mitgenommen. Teile davon sind noch hier in Schottland geblieben. Er hat sie versteckt. Der Schatz ist bis heute nicht gefunden worden. St. Clair hat eine Kirche gebaut. Nämlich die, in der wir stehen, und er hat diese Krypta anlegen lassen. Wir befinden uns unter der eigentlichen Kirche, wir stehen vor den Särgen. Wir schauen uns das Bild an, aber wer sagt uns denn, dass es der einzige Raum ist, der unterhalb des normalen Niveaus liegt? Es könnte sein, dass es noch mehr Verstecke gibt. Und die müssen wir eben finden. Das könnte auch der Weg zum Schatz sein.«
»Der zu Unrecht erworben wurde«, erklärte Doreen Kelly mit harter Stimme.
Wir waren so überrascht, dass wir sie anschauten und zunächst auch keine Antwort gaben.
»Ja, schaut nicht so. Der Schatz ist gestohlen. Er wurde aus einem fernen Land mitgebracht. Aus dem Heiligen Land, das von den Ungläubigen befreit werden sollte. Egal wie. Die Ritter und ihre Heere haben grausam gewütet. Ich will da gar nicht auf Einzelheiten zurückgreifen, aber sie haben sich alles andere als christlich verhalten. Da stimmen Sie mir doch zu – oder?«
»Ganz bestimmt«, sagte ich.
»Und sie haben sich bereichert. Auch Hugo de Payens. Er war ebenfalls ein verfluchter Plünderer, und er hat in Henry St. Clair später einen Verbündeten gefunden. Dieser Mann musste die Reste des Schatzes in Sicherheit bringen. Nicht alles wurde über das Meer geschafft. Einiges versteckte man auch hier. Ich gehe davon aus, dass dies hier in der Kirche der Fall ist.«
»Dagegen spricht nichts«, sagte ich.
»Wunderbar«, flüsterte Doreen. »Man sagt, dass die Zeit alle Wunden heilt. Das mag in einzelnen Fällen zutreffen. Ich aber sehe das anders. Damals ist ein Unrecht begangen worden, indem man aus Jerusalem die Schätze raubte und sie hier und woanders versteckte. Es ist Unrecht. Es bleibt Unrecht. Deshalb bin ich der Meinung, dass der Schatz wieder dorthin gehört, wo er geraubt wurde.«
»Sie meinen nach Jerusalem?«, fragte ich.
»Genau das.«
Ich lachte auf. »Das wird wohl kaum möglich sein. Es wird diplomatische Verwicklungen geben. Vorausgesetzt, der Schatz oder Teile davon werden gefunden.«
»Er gehört nach Jerusalem«, erklärte die Frau mit harter Stimme. »Er gehört dem Staat Israel. Dort wurde er geraubt. Dort muss er wieder hingeschafft werden. Alles andere ist nicht zu akzeptieren.«
Ich wunderte mich über die heftigen Worte der Frau. So hatte ich Peter Graves nicht reden hören. Wie kam seine Assistentin dazu, diese Meinung zu vertreten? Ich glaubte auch nicht, dass dies die Ansicht der Weißen Macht war.
»Sie gehen hart ins Gericht, Doreen.«
»Das muss so sein. Es ist nur gerecht.«
»Was sagt Peter Graves dazu?«
»Ich weiß es nicht. Außerdem ist er nicht hier.«
Ja, das war mir schon längst klar. Nicht allerdings die Gründe. Darüber dachte ich jetzt intensiver nach und konnte mir auch vorstellen, dass Doreen anderer Meinung war. Ich vergaß auch nicht die beiden Männer, die sich Smith und Long nannten, und ein bestimmtes Gedankengebilde malte sich in meinem Kopf ab.
Ich fragte Doreen direkt. »Sie wollen den Schatz der Templer, nicht wahr?«
Mit dem rechten Zeigefinger deutete sie auf mich. »Da haben Sie genau richtig getippt.«
»Dann dürfte Ihr Beruf nur eine Tarnung sein.«
»Irrtum. Ich interessiere mich wirklich dafür. Es ist auch spannend, in der Vergangenheit zu forschen, aber ich sehe auch die Seite des Unrechts, das getilgt werden muss. Für mich persönlich habe ich ein Fazit gezogen. Ich nenne es die Jerusalem-Krise. Man hat sich einfach alles genommen, was man bekommen konnte. Das im Namen des Erlösers. So etwas kann nicht sein. Es verjährt auch nie. Und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem der Schatz wieder zurückgeschafft werden muss. Gerade in so problematischen Zeiten wie diesen.«
»Ich bleibe dabei, dass es schwierig sein wird.«
»Wir haben Zeit.«
»Ach.« Ich lachte. »Sie meinen, dass ich Ihnen dabei helfen soll, den Schatz zu finden?«
»Sie sind John Sinclair.«
»Na und?«
»Sie sind ein besonderer Mensch.«
»Oh – danke, aber so sehe ich das nicht, meine Liebe. Nur traue ich
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