Die Joghurt-Luege
der Lebensmittelindustrie
»Ohne Konservierungsstoffe« wird mehr und mehr zu einem Gütesiegel für Lebensmittel und beeinflusst letztlich auch die Kaufentscheidung. Im Vergleich zu den USA steht Deutschland beim Absatz von Frischeprodukten immer noch auf dem Stand von 1980. 55 Es gibt derzeit weder ein theoretisches noch ein praktisches Gesamtkonzept für innovative Frischeprodukte oder die Realisierung von konservierungsstofffreien bekannten Produkten, das alle Stufen der Herstellung – Produktion, Verpackung, Marketing, Vertrieb und Logistik – zusammenführt. Wer sich bislang darauf verlassen hat, dass der Zusatz von Konservierungsstoffen den Keimbesatz seiner Produkte niedrig genug hielt, und dieses Kriterium ausreichte, um |128| Kunden zu gewinnen, wird umdenken müssen. Lebensmittel ohne Konservierungsstoffe lange haltbar machen und die gesetzlichen Hygienevorgaben einhalten zu können, stellt besondere Ansprüche an die Produktion, an Abfüllung und Verpackung. Alternativen sind gefragt – und die gibt es schon:
Prozessoptimierung/Verfahrenstechnik
Jedes Produkt stellt spezifische Ansprüche an seine Verarbeitung, manchmal werden mehrere Produkte auf ein und derselben Linie hergestellt. Beides muss in der Planung der Anlage oder deren Erweiterung berücksichtigt werden (»Engineering«). Individuelle Lösungen gibt es selten von der Stange. Eine Linie kann so konzipiert sein, dass innerhalb kürzester Zeit ein Umrüsten möglich und ihre Flexibilität gewährleistet ist. Viele Anlagen von heute sind nicht ausreichend aufeinander abgestimmt; es kommt zu Verzögerungen, das Produkt wird längere Zeit kritischen Außenbedingungen, zum Beispiel einer zu hohen Temperatur, ausgesetzt. Auch solche Anlagen lassen sich den »Bedürfnissen« des Produkts anpassen (Sondermaschinen- und Gerätebau, Kompositionen einzelner Anlagenteile, Erhöhung des Wirkungsgrades).
Außerdem stellt sich die Frage nach der Beherrschung einzelner Prozessabschnitte. Die Rezeptur für ein Produkt steht zwar fest, aber Komposition der Zutaten und einzelne Verfahrensschritte werden in ersten Werksversuchen getestet, sind Erfahrungssache und abhängig vom Wissensstand (etwa sichere Temperaturführung und deren Reproduzierbarkeit).
Innovative Anlagen, die während eines Durchlaufs mehrere zusätzliche Arbeitsgänge integrieren, verkürzen die gesamte Verarbeitungszeit (zum Beispiel Mischen und gleichzeitiger Einsatz anderer Verfahren wie Benetzen, Anfetten, Kühlen, Kristallisieren, Pasteurisieren, Trocknen, Umhüllen, Verflüssigen, Alkalisieren etc.). Außerdem ermöglicht eine bessere Kenntnis einzelner Prozesse das Überbrücken besonders heikler Phasen während der Verarbeitung.
|129| Rohstoffsicherung und höhere Rohstoffqualität
Ein Produkt kann nur so gut sein wie die Rohware, aus der es besteht. Verbesserungen in der Logistik des Transports, der Wareneingangskontrolle, der Lagerung und der Anlieferung an die Anlage sind von entscheidender Bedeutung. Detektoren zum Aufspüren von Fremdkörpern als Keimträgern werden immer sensibler; Arbeitskräfte zum Sondieren sind oft unerlässlich. Aus Gründen der Kostenersparnis verzichten manche Unternehmen ganz oder teilweise auf solche Mitarbeiter. Die sorgfältige Auswahl der Lieferanten, deren laufende Überwachung und Schulung ist Grundvoraussetzung für eine gleichbleibend hochwertige Rohware. Manche Firmen, wie beispielsweise Langnese-Iglo, eine Unilever-Tochter (bis 2006) und Hersteller von tiefgekühltem Rahmspinat, haben eigens dazu Landwirte unter Vertrag. Firmeneigene Iglo-Anbauberater begleiteten den Spinatanbau von der Saat über Düngung, Pflanzenschutz und Ernte bis hin zum Transport ins Werk.
Verpackung
Für Verpackungsanlagen gilt im Prinzip dasselbe wie für die allgemeine Prozessoptimierung. Derzeit gibt es bereits Maschinen zur Kaltabfüllung unter keimarmen Bedingungen (zum Beispiel »Ultraclean« der Firma florin, Gesellschaft für Lebensmitteltechnologie mbH) oder Maschinen zur High-Speed-Frischhalteversiegelung, aber auch aseptische Verpackungen, die eine lange Haltbarkeit versprechen (zum Beispiel Tetra Pak, SIG Combibloc). Eine der bekanntesten Neuerungen der vergangenen Jahre ist eine mit Konservierungsstoffen beschichtete Verpackungsfolie vom Fraunhofer-Verbund Polymere Oberflächen (POLO), die die Substanzen gezielt an die Oberfläche des Lebensmittels bringt – also dorthin, wo Mikrobenwachstum abläuft. Die schützenden Schichten gelangen über
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