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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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seinem Bruder gleichzutun und ebenfalls nach England kommen zu wollen. Denn in der Schrift des örtlichen Historikers hatte ich nachgelesen, dass der jüngere der Zwillinge von Jugend an geradezu zwanghaft bemüht gewesen ist, dem älteren in allem, was dieser tat, nachzueifern und ihn womöglich auszustechen. Deshalb weihte ich meinen Schwager in den Plan ein. Und da meine Praxis und die Mitgift mei ner Frau mich zu einem sehr vermögenden Mann gemacht hatten, konnte ich es mir leisten, teure Anzeigen in die Times und andere große Tagesblätter zu setzen, die darauf hinwiesen, dass die Kanzlei meines Schwagers langjährige Erfahrung mit der Abwicklung von Im mobiliengeschäften für finanzkräftige Kunden vom Balkan besitze und neuen gern zu Diensten sei. Auch sorgte ich dafür, dass diese Zeitungen nach Piteschti gelangten. Eine Ausgabe der Times ließ ich sogar zu Graf Dracula auf Burg Negoi schicken. Und dann, nach fast einem Jahr des Hoffens und Bangens, ob mein Plan wohl aufgehen würde, traf endlich der erste Brief von ihm bei meinem Schwager ein. Von da an ging alles den Weg, den ich vorausgeahnt hatte. Den Rest kennen Sie.«
    Lange herrschte bedrücktes Schweigen. Dann atmete Byron tief durch und sagte mit leiser, angespannter Stimme in die Stille: »Beten wir zu Gott, dass wir morgen in der Gruft Draculas Sarg finden und tun können, was nach Mister van Helsings Worten getan werden muss, um die Welt von einem fürchterlichen Übel zu befreien – und unser Leben zu retten!«

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    K aum hatte der neue Tag sein erstes bleiches Licht auf die Zinnen der Burg geworfen und damit den Vampir in sein geheimes Versteck verbannt, als sie sich gemeinsam hinunter in den Rittersaal begaben.
    Sie hatten die lange Nacht in den Räumlichkeiten des Arztes ver bracht und abwechselnd Wache gehalten. Dabei hatte sich herausge stellt, dass nicht nur Byron den Knoblauchkranz und das billige Ei senkruzifix zur Burg Negoi mitgenommen hatte. Sogar Alistair hatte beides in sein leichtes Gepäck gestopft.
    Als dieser nun aus seinem Zimmer auf den Gang trat, wo seine Ge fährten schon auf ihn warteten, trug er das Kreuz um den Hals. Er grinste verlegen, als er dabei Byrons Blick auffing.
    »Irgendwie erinnert mich das jetzt an den Witz mit dem Hausbesit zer und dem Hufeisen«, sagte er.
    »Und wie geht dieser Witz?«, fragte Horatio.
    »Der Mann nagelte ein Hufeisen über seine Haustür. Als sein Nach bar das sah, fragte er ihn verwundert: ›Aber ich dachte, Sie glauben nicht an solch abergläubisches Zeug?‹ Worauf ihm der andere ant wortete: ›Tue ich ja auch nicht. Aber ich habe mir sagen lassen, dass es dennoch hilft.‹« Und mit einem Schmunzeln steckte Alistair sich das Knoblauchgebinde in seine äußere Jackentasche.
    »Solange es Tag ist, haben wir von Dracula nichts zu befürchten«, erinnerte sie van Helsing, der wie Horatio und Byron eine entzünde te Leuchte mit sich führte. An der anderen Hand trug er eine bauchi ge, sichtlich schwere Ledertasche, wie sie Ärzte gewöhnlich bei Krankenbesuchen mit sich führten. Er hatte sich nicht näher darüber ausgelassen, was sie enthielt, sondern nur gesagt, dass er aus Eng land alles mitgebracht habe, was notwendig sei, um Dracula zu tö ten.
    Alistair zuckte die Achseln. »Doppelt genäht hält besser.«
    »Also gut, dann lassen Sie uns jetzt gehen und die Tagesstunden nutzen!«, drängte Byron.
    Keinem von ihnen stand der Sinn danach, sich an den gedeckten Tisch zu setzen und zu frühstücken. Als sie im Rittersaal auf Bogan stießen, gaben sie ihm durch Zeichensprache und einige auf ein Stück Papier gekritzelte Särge zu verstehen, dass sie unverzüglich hinunter in die Gruft wollten.
    Der verunstaltete Hausdiener begriff endlich, was sie von ihm woll ten, nickte eifrig und führte sie nun über verwinkelte Gänge und eine steile Treppe hinunter in die Katakomben. Er schloss eine schwere, mit Eisenblech verkleidete Tür auf, gestikulierte in das dahinterlie gende Dunkel und verschwand dann wieder nach oben.
    Beklommen betraten sie die Gruft, aus der ihnen der eisige Hauch des Todes entgegenschlug. Das Licht ihrer Leuchten fiel auf raues, grob behauenes Felsgestein, das sich an der Decke wölbte. An den Wänden der Gruft, die aus drei hintereinanderliegenden Einzelge wölben bestand, reihten sich steinerne Sarkophage. Riesige, mit Staub beladene Spinnweben hingen von den Zacken der gewölbten Decke und spannten sich wie zerrissene Schleier kreuz und quer über den

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