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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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floss.
    Auf dem Fluss ging es nicht weniger laut und turbulent zu als vor dem Bahnhof oder auf der Brücke. Es wimmelte nur so von Schiffen aller Größe und Bauart. Aus den Schloten der Dampfschiffe stiegen Rauchfahnen in den Himmel; die Schaufeln von Raddampfern wühl ten das Wasser auf; Fischerboote zogen unter ockerfarbenen, saf rangelben und feuerroten Segeln ihre Bahn, Hafenbarkassen und Zollboote stampften durch das Kielwasser eines Luxusliners, der an seinen hohen schwarzen Schornsteinen das Reedereizeichen des Norddeutschen Lloyd trug, und überall schossen die von kräftigen Ru derern vorangetriebenen Boote, die kaik hießen und an beiden En den spitz wie ein Messer zuliefen, wie Pfeile durch das Gewimmel.
    »Himmel, ich weiß nicht, ob das eine Stadt nach meinem Ge schmack ist«, sagte Horatio ebenso verstört wie berauscht von dem Anblick.
    »Ich bin sicher, dass sie mehr als nur Moscheen, Paläste und das Gewimmel eines aufgescheuchten Ameisenhaufens zu bieten hat«, meinte Alistair, dem das wilde Treiben zu Land und zu Wasser aus nehmend gut gefiel.
    »Für das, was dich interessieren dürfte, bräuchte man vermutlich einen versierten Fremdenführer«, meinte Harriet anzüglich. »Am besten einen vom Schlag des Waffenhändlers!«
    Alistair grinste genauso anzüglich zurück. »Ja, das könnte manch reizvolle Erfahrung bringen!«
    Endlich hatten sie das Nadelöhr passiert und die Kutsche rollte hü gelan durch Galata und Pera. Bei allem orientalischen Leben auf den Straßen sahen sie sofort, dass sie sich im internationalen Viertel der Stadt befanden. Hier beherrschten die stattlichen Botschaften, die Verwaltungsgebäude der Handelsniederlassungen, die Börse, die Bankhäuser, die Filialen bekannter europäischer Geschäfte sowie Theater, Cafés und Restaurants das Bild. Nun war es nicht mehr weit bis zu ihrem Hotel.
    Das Pera Palace lag am Stadtgarten von Pera und bot denselben ma kellos feudalen Service wie der Orient-Express. Dass es auch hier nicht genügte, seinen Pass vorzuzeigen und seine Kreditwürdigkeit zu be legen, sondern dass es am Empfang auch noch allerlei Formulare auszufüllen galt, deren Sinn sich beim besten Willen nicht erschloss, bedauerte der Empfangschef nicht weniger als seine neuen Gäste.
    »So ist er nun mal, der Orient«, sagte er und zuckte die Achseln, als wäre damit alles gesagt, was es dazu zu sagen gab.
    In dem Moment hörten sie hinter sich eine dunkle, volltönende Stimme: »Ja, eine Wunderlampe ist langweilig dagegen! Willkom men am Krankenbett des Osmanischen Reiches!«

3
    B asil Sahar steuerte wie ein Dampfer mit voller Kraft durch die Men ge der Hotelgäste, die die Halle bevölkerten, als gehörte ihm das Pera Palace . Und man machte ihm auch sofort Platz, als hätte er ein Recht darauf, alle aus seinem Weg zu scheuchen.
    Der Waffenhändler hatte sich wieder wie ein Pariser Bohemien ge kleidet. Er trug zu einer cremeweißen Flanellhose und weißen Gamaschenschuhen ein curryfarbenes Jackett aus demselben Stoff, ein gefälteltes weißes Hemd und eine Fliege aus schillernd blauer Seide. Dazu schwang er einen Spazierstock aus Rosenholz mit einem silbernen Griffstück, das sich bei näherer Betrachtung als ein stilisiertes Kanonenrohr auf einer Lafette herausstellte.
    Sozusagen in seinem Kielwasser folgte ein hochgewachsener Mann, bei dem es sich offensichtlich um seinen neuen Leibwächter handelte. Der muskulöse Mann überragte ihn um gute zwei Haup teslängen, war in schwarze Pluderhosen und ein rostrotes, bauschi ges Obergewand mit kurzem Lederwams darüber gekleidet und trug an seinem breiten, bestickten Ledergürtel auf der einen Seite ein langes Messer und an der anderen einen Revolver. In seinem Aufzug und mit seiner ausdruckslosen Miene sah er wie einer jener todes verachtenden Janitscharen aus, die jahrhundertelang von den skru pellosen Rekruteuren bei der berüchtigten jährlichen »Knabenlese« in italienischen und griechischen Dörfern zwangsweise ausgehoben und in speziellen Kasernen zu besonders loyalen und gefürchteten Leibgardisten der Osmanenherrscher ausgebildet worden waren.
    »Miss Chamberlain-Bourke . . . Gentlemen! Welch eine Freude, Sie hier wieder anzutreffen!«, begrüßte der Waffenhändler sie über schwänglich. »Ich hatte schon befürchtet, wir hätten uns auf meinem heimatlichen Boden unglücklicherweise verpasst. Ich war die letzten Tage nämlich reichlich beschäftigt, das Arsenal des Osmanischen Reiches auf den neuesten Stand der

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