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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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vor den Landungsstegen, wo eine ganze Reihe von Kaiks auf abendliche Kundschaft wartete. »Die Fahrt ist schon bezahlt, meine Herren. Aber man hat mir aufgetragen, Ihnen zu sagen, dass Sie hier nach dem Boot von Harun Ghahib fragen sollen«, teilte er ih nen beim Aussteigen mit und zuckelte mit seiner Droschke von dan nen.
    Sie brauchten nicht lange nach dem Bootsbesitzer zu fragen. Denn Harun Ghahib hatte schon nach ihnen Ausschau gehalten und winkte sie mit einer Ausgabe des Le Moniteur Oriental in der erhobenen Hand zu sich ans Boot.
    »Und? Wo bringst du uns hin?«, fragte Alistair, als sie zu ihm in das Kaik stiegen.
    »Von hier nach dort«, antwortete Harun mit breitem Grinsen, griff zu seinen Riemen und legte sich ins Zeug.
    Als das schnelle Kaik unter kräftigen Ruderschlägen hinaus auf den dunklen Strom schoss, suchten sie auf dem Wasser nach einem an deren Boot, das ihnen vielleicht folgte. Aber bei den vielen Booten, die sogar noch zu dieser Abendstunde den Fluss bevölkerten, war dies unmöglich.
    Das Ruderboot hielt auf den gegenüberliegenden Handelshafen zu, doch auf halber Höhe änderte Harun abrupt seinen Kurs, schlug einen Haken und ruderte in einem spitzen Winkel zum Ufer stromaufwärts. Wenig später glitt das Kaik unter der Alten Brücke hindurch. Dahinter lag der Kriegshafen mit seinen kanonengespickten Schiffen.
    Kurz darauf hatten sie das Ziel der schnellen Kaikfahrt erreicht. An der Anlegestelle von Aya Kapu unterhalb der Selim-Moschee ließ Ha run sie aussteigen. »Ihr sollt mit einer der Kutschen da drüben zu eu ren Freunden kommen!«, sagte er noch. Dabei deutete er auf ein Durcheinander von Sänften, Kutschen und Ochsengespannen, die sich auf dem Vorplatz der belebten Landungsbrücke gegenseitig den besten Platz streitig machten. Dann stieß er sein Boot mit dem Ru der ab und verschwand aus ihrem Blickfeld.
    »Das kann ja wohl nicht wahr sein!«, stieß Alistair grimmig hervor, als sie sahen, wer von den Kutschern eine Ausgabe des Levant Herald in den Händen hielt. »In dem Gefährt kommen wir ja nur im Schne ckentempo voran!«
    »Was vermutlich ganz im Sinn der Entführer sein dürfte!«, sagte Byron.
    Es war der krummbeinige, turbantragende Besitzer einer klobigen araba, eines einachsigen Gefährts mit einer breiten Sitzbank, das drei Personen bequem Platz bot, ein Dach aus Stoff hatte und vorne wie hinten offen war. Gezogen wurde es von zwei Ochsen mit be achtlichem Gehörn.
    Der zahnlose Mann vergewisserte sich, dass er es mit den richtigen drei Fremden aus England zu tun hatte, und dann legten sich die Ochsen ins Zeug und trotteten los.
    Für den Kutscher war auf einer Araba kein Platz. Der Mann ging ne benher und lenkte das Gespann mit gelegentlichen Hieben und Stö ßen eines langen Stockes.
    Byron hatte sich den Stadtplan von Konstantinopel vorsorglich gut eingeprägt und versuchte, in Gedanken dem Weg zu folgen, den die Araba nahm. Die nächtliche Dunkelheit und die vielen Richtungsänderungen in dem Straßenlabyrinth der hügeligen Stadt machten es ihm jedoch schwer, sich zu orientieren. Doch als zu ihrer Rechten kurz ein großer Park zu sehen war, glaubte er sich sicher sein zu können, dass sie sich im Sultan-Sélim-Bezirk befanden und langsam den nordwestlichen Außenbezirken Konstantinopels zustrebten. Eine ganze Weile später fiel sein Blick auf eine Kirche mit einem Kreuz der Ostkirche, das neben dem oberen waagrechten Querbalken darunter noch einen zweiten, schräg zum Längsbalken stehenden aufwies, der eine Fußstütze symbolisierte.
    »Das muss die Kirche St. Dimitri der griechisch-orthodoxen Ge meinde sein!«, raunte er seinen Gefährten zu. »Jetzt ist es bis zu den Resten der alten Stadtmauer nicht mehr weit!«
    »Und danach kommt die türkische Wildnis, wo weit und breit keine Menschenseele ist!«, sagte Alistair mit finsterer Miene. »Schon gar nicht bei Nacht!«
    Einige Straßen weiter nach der Kirche hielt der Turbanträger bei einem großen Trümmerfeld an. Hier waren offenbar Dutzende Häu ser eines Armenviertels Opfer eines verheerenden Brandes gewor den. An Bränden hatte es in dieser engen Stadt, wo die Häuser zu meist aus Holz gebaut waren, zu keiner Zeit gemangelt, wie sie von Basil Sahar wussten. Dieses Feuer hier musste die Häuser erst in jüngster Vergangenheit vernichtet haben. Denn es lag noch immer ein leichter Brandgeruch in der Luft. Ein ganzes Rudel Hunde trieb sich auf dem Ruinengelände herum und scharrte in den Trümmern nach

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