Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
Bahnhofshalle eilten, fiel Byron auf, dass Horatio sich mehrfach verstohlen umblickte. Und diese Blicke konnten kaum ihrem schnauzbärtigen, uniformierten Gepäckträger gelten, der ihn auf dem Perron mit reichlich übertriebenem Respekt als »Herr Kom merzienrat« angesprochen hatte und der ihnen nun mit ihren Kof fern und Taschen auf seinem Karren folgte.
    »Stimmt etwas nicht, Mister Slade?«, erkundigte Byron sich leise, sodass Harriet und Alistair, die vor ihnen gingen, seine Frage nicht hören konnten.
    Horatio zögerte. »Ich bin mir nicht sicher«, gab er dann ebenso lei se zurück. »Mag sein, dass ich Gespenster sehe. Aber lassen Sie uns nachher darüber reden.«
    Byron nickte ihm zu. »In Ordnung.«
    »So ein Mistwetter!«, seufzte Harriet, als sie kurz darauf aus der Bahnhofshalle traten und sich dem heftigen Regen ausgesetzt sahen. Sofort wich sie unter das Vordach zurück und die Männer folgten ih rem Beispiel. Auch der Gepäckträger blieb hinter ihnen stehen und blickte mit einem schweren Stoßseufzer in den regendunklen Him mel.
    »Hätte uns Lord Pembroke nicht schon im September auf die Reise schicken oder aber bis zum nächsten Frühling warten können?«, grollte Alistair, der für das miserable Wetter wieder einmal nicht entsprechend gekleidet war.
    »Sehen wir zu, dass wir in den nächsten Fiaker und ins Hotel Bristol kommen!«, rief Harriet.
    »Und was ist ein Fiaker?«, wollte Horatio wissen.
    »Ein Zweispänner«, sagte Harriet und wies auf die schwarz lackier ten Mietdroschken, die sich vor dem Bahnhof wie bei einer Trauerprozession dicht hintereinander drängten und auf Kunden warteten. »Die kosten zwar achtzig Heller mehr für eine Fahrt in der Inneren Stadt, sind dafür aber auch schneller und geräumiger.«
    »Was immer achtzig Heller sein mögen, im Augenblick ist mir jeder Preis recht, wenn wir nur so schnell wie möglich aus diesem Mist wetter und in dieses Bristol kommen«, sagte Alistair. »Hoffentlich taugt das Hotel was, in dem der alte Pembroke Zimmer für uns hat reservieren lassen!«
    Harriet lachte. »Das Bristol ist das erste Haus am Platz, Alistair! Exklu siver geht es nicht. Und was die Währung betrifft, so rechnet man hier in Kronen zu je hundert Hellern, aber auch mit Gulden und Kreuzern. Man hüte sich deshalb vor Verwechslungen. Denn ein Gulden ist nur eine halbe Krone und ein Kreuzer nur einen halben Heller wert.«
    Alistair verdrehte die Augen. »Was für ein Umstand und Wirrwarr! Warum kann sich die Welt nicht auf eine einzige Währung einigen – und zwar auf das englische Pfund zu zwanzig Shilling und auf einen Shilling zu zwölf Pence?«
    »Ich schätze mal, das sagt ebenso der Deutsche von seiner Mark, der Franzose von seinem Franc und der Amerikaner von seinem Dol lar«, hielt Byron ihm entgegen.
    »Wen kümmert’s? Nicht diese Länder, sondern das britische Em pire regiert die Welt!«, erwiderte Alistair und schlug seinen Jacken-kragen hoch.
    »Und was bringt ein englisches Pfund in Kronen, Miss Chamber lain? Was ist der Umrechnungskurs?«, fragte Horatio. Lord Pem broke hatte ihnen zwar vorsorglich einiges an fremder Währung mit gegeben. Aber keiner von ihnen hatte es bislang für nötig erachtet, sich über den Wert der einzelnen Banknoten und Münzen Gedanken zu machen.
    »Für das Pfund kriegt man rund vierundzwanzig Kronen, jedenfalls war das der Kurs, den ich noch letztes Jahr hier bei unserem Engage ment erhalten habe«, teilte Harriet ihnen mit. »Das war, als unsere Truppe im bekannten Jantsch-Theater aufgetreten ist, drüben im Pra ter.«
    »Dann schlage ich vor, dass gleich du dich mit dem Gepäckträger und dem Kutscher herumschlägst, was ihre Entlohnung betrifft«, schlug Alistair vor. »So, und jetzt nichts wie in den nächsten Fiaker!«
    Als Horatio in die Droschke stieg, blieb er kurz auf der Trittstufe stehen und warf einen langen Blick zurück auf die Menschen, die hinter ihnen aus der Bahnhofshalle kamen. »Soll mich doch der Teu fel holen«, murmelte er leise, bevor er sich wieder umdrehte und machte, dass er aus dem Regen kam.
    Byron hörte es, sprach ihn aber nicht darauf an, was ihn beschäftig te. Horatio Slade würde es ihm nachher schon sagen. Und jetzt galt es erst einmal, den Gepäckträger zu entlohnen und mit dem Drosch kenkutscher handelseinig zu werden. Denn für ihn verstand es sich von selbst, dass nicht Harriet, die sich in Begleitung von drei Män nern befand, die Bezahlung von Bahnhofsdiener und Kutscher regel te –

Weitere Kostenlose Bücher