Die Judas-Variante - V3
der Seite des
Bärenschädels ab. Jensen drehte sich um und sah, wie Flynn die Schleuder hastig mit einer zweiten
Kugel beschickte. Aber der Aufprall der Kugel juckte den Bären noch weniger als der Schlag mit
dem nunchaku. Jensen bereitete sich auf ein weiteres Schlag-und-Sprung-Manöver vor und
wartete nur darauf, dass der Bär in die richtige Position gelangte.
Doch just in dem Moment, als er sich vom Boden abstoßen wollte, regte sich unter seinen Füßen
etwas Unsichtbares unterm Teppich aus totem Laub. Der Sprung misslang, und für einen
entscheidenden Sekundenbruchteil reagierte er völlig unkoordiniert.
Und bevor er die Kontrolle zurückerlangte, traf die Bärentatze ihn mit Schmackes an der linken
Seite.
Er japste, als eine ganze Schmerz-Kaskade ihm durch den Brustkorb schoss. Die Wucht des Schlages
wirbelte ihn in der Luft herum und schleuderte ihn in ein Gebüsch. Er biss angesichts des
Schmerzes in der Seite die Zähne zusammen und versuchte den nunchaku wieder in
Kampfposition zu bringen. Aber die Waffe hatte sich im Gestrüpp verheddert. Er ließ sie dort, zog
stattdessen ein Messer aus der Scheide am Unterarm und richtete es auf den Bären, der auf ihn
zusprang. Er wusste, dass er nur eine einzige Chance hatte; eine Chance, das Tier ins Auge zu
treffen und es hoffentlich so schnell zu töten, dass es keine Zeit mehr hatte, seinerseits einen
tödlichen Schlag zu führen. Der Bär kam bis auf zwei Meter an ihn heran und riss das Maul mit
großen weißen Zähnen auf...
Und dann schoss wie eine schwarz umhüllte Kanonenkugel Flynn in sein Blickfeld - den Körper
seitlich weggedreht, dicht überm Boden und die Knie an die Brust gezogen flog er im Bogen gegen
die Seite des Bären. Er drückte die Beine in einer zuckenden Tritt-Doublette durch, und die
Stiefelsohlen trafen den Bären mit einer solchen Wucht seitlich am Hals, dass das Tier umkippte
und zu Boden fiel.
Flynn ging ebenfalls zu Boden, rappelte sich aber wieder auf und griff zum nunchaku. Doch
nun hatte der Bär endgültig die Schnauze voll. Er richtete sich auf, fletschte noch einmal die
Zähne gegen die Angreifer, und dann wandte er sich ab und trottete in die Richtung, in der das
Junge verschwunden war. Ein paar Sekunden später war er außer Sicht.
»Das muss wohl der verrückteste durchgängige Bewegungsablauf sein, den ich jemals gesehen habe«,
sagte Jensen und atmete so flach wie möglich.
Die ganze linke Seite schien zu brennen, und er hatte das Gefühl, als ob bei jedem Atemzug jemand
mit einem Schürhaken im Feuer herumstocherte. »Muss einer von Mordecais Tricks sein.«
»Das ist ein sogenannter Tür-Räumer«, sagte Flynn, steckte den nunchaku wieder in die
Scheide und kniete sich neben Jensen hin. »Alles in Ordnung?«
»Kaum«, gestand Jensen und fasste sich vorsichtig an die Seite. »Ich glaube, ich habe mir eine
Rippe gebrochen. Vielleicht sogar mehr als eine.«
»Verdammt!«, murmelte Flynn und schob vorsichtig die Fetzen von Jensens Mantel und Hemd
zurück.
»Wenigstens haben die Klauen nicht den Flexarmor perforiert.«
»Nein, auf diese Art werde ich an inneren Blutungen sterben«, sagte Jensen. »Das ist auch viel
reinlicher so. He, ist nur Spaß, ist doch nur Spaß«, fügte er hastig hinzu, als Flynn entsetzt
die Augen aufriss. Er vergaß manchmal, dass diese Trainees noch halbe Kinder waren und diesen
rabenschwarzen Humor aus Kriegszeiten nicht kannten, den er und die anderen Blackcollars
kultivierten. »Ich glaube nicht, dass ich blute; jedenfalls nicht sehr stark. Zumal jeder Kampf,
nach dem man noch auf zwei Beinen zu gehen vermag, als Sieg zählt. Apropos gehen, würdest du mir
aufhelfen?«
»Solltest du nicht lieber liegen bleiben, bis wir genau wissen, was dir fehlt?«, fragte Flynn,
packte Jensen am Arm und zog ihn aus dem Gebüsch.
»Gute Idee«, sagte Jensen und biss die Zähne zusammen, als er einen heißen, gleichsam
rotglühenden Schmerz verspürte. »Die nächsten medizinischen Einrichtungen sind im Ryqril-Camp.
Ich werde solange hier warten.«
»Ich meinte doch nur...«
»Ich weiß schon, was du meintest«, sagte Jensen ihm. »Und wir werden ganz bestimmt noch darauf
zurückkommen. Aber es wird schon hell, und wir müssen uns eine Deckung suchen.«
Flynn zog eine Schnute, nickte aber gehorsam.
»Du bist der Boss. Ganz vorsichtig.«
Mit vereinten Kräften - wobei Flynn die Hauptarbeit leistete - gelang es ihnen, ihn aus dem Busch
zu
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