Die Judas-Variante - V3
hatte zwar recht, doch je mehr Verwirrung und
Unklarheit er in dieser Angelegenheit zu stiften vermochte, umso besser. »Wenn man
berücksichtigt, dass wir Reger verdächtigen, mit Phoenix in Verbindung zu stehen, wird Oberst
Bailey sich vielleicht entscheiden, seine Leute aus grundsätzlichen Erwägungen
festzuhalten.«
»Na schön«, sagte Reger mit einem leicht bedrohlichen Unterton. »Aber sobald Sie wieder in Athena
sind, könnten Sie sie freilassen. Nicht wahr?«
Poirot musste an sich halten, um nicht das Gesicht zu verziehen. Er durfte sich jetzt nicht in
eine Ecke drängen lassen. »Unter der Voraussetzung, dass ich einen triftigen Grund habe - ja«,
sagte er. »Aber wo ich mich jetzt schon so lange in Ihrer Hand befinde, wird Bailey vielleicht
Verdacht schöpfen.«
»Wieso sollte er Verdacht schöpfen?«, fragte Reger spöttisch. »Was hätten wir Ihnen denn schon
tun sollen?«
Poirot verspürte einen Anflug von Verachtung.
Sollte er ihnen denn das ganze Denken abnehmen?
»Sie haben doch in seiner Anwesenheit Whiplash erwähnt«, rief er ihnen in Erinnerung. »Er wird
bestimmt versuchen, dieser Spur zu folgen.«
»Was bedeutet, dass wir eine gute Begründung brauchen, um Sie gehen zu lassen«, sagte
Skyler.
»Das sind die Puzzleteile, die wir haben. Setzen wir sie also zusammen.«
Flynn mampfte gerade einen Power-Riegel und fragte sich, wie viel Tageslicht ihm wohl noch blieb,
als er plötzlich das Geräusch eines großen Tiers hörte, das durchs Unterholz brach.
Er warf einen Blick auf Jensen. Der Blackcollar schlief; der Kopf ruhte auf dem Rucksack, und der
Atem war flach, aber stetig. Flynn legte die Verpflegung auf den Boden und holte den nunchaku aus dem flachen Futteral. Das Geräusch ertönte wieder - diesmal so laut, dass
Flynn die Richtung zu lokalisieren vermochte: es kam aus Norden. Er ging in die Hocke, wobei er
darauf achtete, nicht die tief herabhängenden Äste zu berühren, arbeitete sich zur Südseite des
Baums vor und schlüpfte dann unter den Ästen hindurch.
Der Himmel hatte sich bewölkt, seit sie heute Morgen hier angekommen waren. Die Berggipfel
erhoben sich nun vor einem wabernden grauen Hintergrund. Mit dem nunchaku in der Hand
bewegte er sich auf einen kleinen, ein paar Meter entfernten Busch zu und zuckte beim leisen
Knistern der Blätter zusammen, auf die er trat. Das sich nähernde Tier war noch nicht in Sicht,
doch dem immer lauteren Rascheln nach zu urteilen, musste es jeden Moment auftauchen. Flynn
erreichte den anvisierten Busch, duckte sich und packte den nunchaku. Er hoffte inständig,
dass es nicht schon wieder der Bär war und eine Revanche von ihm forderte. Durch die Äste der
Deckung erhaschte er einen Blick auf eine große, dunkle Gestalt, die sich näherte...
Und zu seinem Erstaunen trottete der größte braune Labrador-Retriever, den er jemals gesehen
hatte, in sein Blickfeld.
Er atmete lautlos aus, und die erste instinktive Erleichterung, dass es nicht der Bär war, wich
schnell der ernüchternden Erkenntnis, dass er es jetzt vielleicht noch schlechter getroffen
hatte. Nun sah er auch, dass der Hund eine Art Kragen um den Hals hatte - und es galt die
Gleichung: Ein Hund und ein Halsband ist gleich ein Herrchen. Und hier, nur ein paar Kilometer
von einer Ryqril-Basis entfernt, war es gut möglich, dass Hund und Herrchen einen
Sicherheitsspäher bedeuteten.
Der Labrador wanderte auf den Baum zu, unter dem Jensen versteckt war, und schnüffelte mit
wedelndem Schwanz an Büschen und freiliegenden Baumwurzeln. Hinter ihm hörte Flynn näher kommende
Schritte. Er nahm den nunchaku in die linke Hand, zog ein Wurfmesser und rüstete sich
mental für den Kampf. Jensen, so erzählten die Trainees sich hinter vorgehaltener Hand, hatte
schon einmal eine Sicherheitsbefragung mit allen Schikanen mitgemacht. Er würde das kein zweites
Mal durchmachen; nicht, wenn Flynn das verhindern konnte.
Und wieder hatte er sich unnötige Sorgen gemacht. Die beiden Männer, die in Sicht kamen, waren
groß und bärtig und trugen eine abgerissene und fadenscheinige Kleidung, in der ein
Sicherheitsbeamter, der etwas auf sich hielt, sich nicht einmal beerdigen lassen würde. Der
jüngere der beiden war wahrscheinlich nur ein paar Jahre älter als Flynn mit seinen
dreiundzwanzig, während der ältere ein Mittfünfziger war. Er hatte die Lederhaut eines Menschen,
der sein ganzes Leben draußen in freier Natur verbracht
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