Die Judas-Variante - V3
zu der Stelle etwa in der Mitte des Raums, wo er
normalerweise stand, und hob die obersten Blätter von der Loseblattsammlung ab, die ihm als
Lektüre diente.
Er hatte es sich schon wieder im Sessel bequem gemacht und tat so, als ob er in das Buch vertieft
sei, als das Schloss klickte und die Tür aufschwang.
Aber es wurde nicht das erwartete Abendessen serviert. Stattdessen betrat ein großer Mann, den er
noch nie zuvor gesehen hatte, den Raum und fixierte Caine mit einem harten Blick. »Dann sind Sie
also Caine«, sagte er ohne eine Begrüßung.
»Sofern Galway uns beide nicht verwechselt hat«, sagte Caine. »Sind Sie mein neuer
Zellengenosse?«
Der Blick des anderen wurde noch härter. »Sie sind ein richtiger Witzbold, nicht wahr?«, sagte er
leise. »Sie und alle anderen Blackcollars halten sich wohl für die Herren der Welt und glauben,
sie könnten alles zu Klump hauen.«
»Leute im orangefarbenen Dress sind zu solchen Aktivitäten normalerweise nicht in der Lage«,
erinnerte Caine ihn. »Sir - äh...?«
»Präfekt«, berichtigte der andere ihn düster. »Präfekt Daov Haberdae, Oberbefehlshaber der
Sicherheitskräfte auf Khala.«
»Aha«, sagte Caine und nickte. »Außer denjenigen, die Präfekt Galway zwangsrekrutiert hat, wie
ich annehme.«
Haberdae stieß zischend den Atem aus. »Ich weiß nicht, was mit euch hinterwäldlerischen Ratten
von Plinry überhaupt los ist«, stieß er hervor und machte einen Schritt nach vorn. In diesem
Moment betraten hastig zwei Wachen hinter ihm den Raum und richteten ihre Paralyt-Pfeilwaffen zur
Abschreckung auf Caines Brust. »Wie kommt ihr überhaupt auf das hohe Ross, dass ihr etwas
Besseres seid als wir anderen?«
»Sie haben mich durchschaut«, sagte Caine und fragte sich, ob er noch erwähnen sollte, dass er
eigentlich von der Erde stammte und nicht von Plinry. »Was für ein Furz sitzt Ihnen denn quer?
Grüßt Galway Sie etwa nicht, oder redet er Sie nicht mit Sir an?«
Ohne Vorwarnung griff der große Mann ihn an.
Mit drei schnellen Schritten war er beim Sessel, schlug Caine die Seiten aus der Hand, packte ihn
an der Vorderseite des orangefarbenen Overalls und riss ihn aus dem Sessel. »Ich habe heute acht
Männer verloren, du Sohn einer Schlange«, knurrte er, wobei seine Nase nur ein paar Zentimeter
von Caines entfernt war. »Acht Männer.«
Caine zwang sich mit einer Willensanstrengung zur Ruhe. Er wusste, dass er den Mann mit einem
Schlag umzuhauen vermocht hätte. Ein einziger, gut platzierter Hieb hätte ihn gelähmt,
ausgeknockt oder sogar verkrüppelt - wie es Caine gerade in den Sinn gekommen wäre.
Nun war aber nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Die Zellentür stand zwar offen, aber die Wachen waren aufmarschiert, auf der Hut, die Waffen im
Anschlag. Ein Angriff auf Haberdae hätte ihm lediglich eine weitere Phase der Lähmung
eingebracht.
Außerdem - wenn er es wirklich clever anstellte...
»Acht Männer, wie?«, bemerkte er und schaute Haberdae frech ins Gesicht. »Da muss Lathe sich aber
noch ziemlich zurückgehalten haben.«
Und im nächsten Moment schleuderte Haberdae Caine seitlich in Richtung der Wand, sodass er quer
durch den Raum flog.
Reflexartig zog Caine Arme und Beine an und versuchte die Füße nach unten zu drehen. Er schaffte
es gerade noch rechtzeitig und kam einen Meter vom Fußende des Betts entfernt auf dem Boden
auf.
Er hätte auch eine Landung wie ein Kunstturner hinzulegen vermocht - eine Leistung, die die
anwesenden Wachen zweifellos beeindruckt hätte. Stattdessen taumelte er weiter in die Richtung,
in die er geschleudert worden war, ruderte mit den Armen, als ob er das Gleichgewicht zu halten
versuchte, und visierte dabei aus dem Augenwinkel die richtige Stelle an. Mit eindrucksvollem
Getöse knallte er gegen das Fußende des Etagenbetts, wobei er durch den Aufprall eine halbe
Umdrehung beschrieb und wieder mit den Händen ruderte, als ob er die Balance halten wollte.
Und dann schnippte er noch schnell das Spezialpapier weg, das seine mitternächtlichen Besucher
auf die versteckten Kameralinsen gepappt hatten - wobei er diese Manipulation übergangslos in den
gesamten Bewegungsablauf einfließen ließ.
Als er sich umdrehte, sah er, dass Haberdae ihm durch den Raum gefolgt war. Wieder packte der
große Mann ihn am Overall und hob ihn in die Höhe.
»Du bist schon tot, Caine«, sagte Haberdae so leise, dass niemand außer Caine selbst ihn hörte.
»Hörst
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