Die Judas Variante
?«, hakte Flynn nach. »Ich frage aus dem Grund: Wenn ich die
Karte richtig im Kopf habe, bringt dieser Fluss uns zu weit nach Osten vom Ziel ab.«
»Du hast völlig recht«, pflichtete Jensen ihm bei. »Die Taktik ist Tarnen und Täuschen. Siehst
du, das Problem mit dem Trick des fließenden Wassers ist der, dass jeder ihn kennt. Das heißt,
dass, wenn - sagen wir, ein Aufgebot der Ryqril - uns bis zu diesem Bach verfolgt, werden sie
wissen, dass wir eine von zwei Richtungen eingeschlagen haben. Und dann müssen sie sich nur noch
aufteilen und die Stelle suchen, wo wir wieder an Land gegangen sind.«
»Dann suchen wir also nach steinigem Gelände, wo wir keine Spuren hinterlassen?«
»Nein, denn darauf würden sie auch kommen«, sagte Jensen. »Sie werden sich jede entsprechende
Stelle vornehmen, das Gelände an der Peripherie des Gesteins absuchen und die Stelle ausfindig
machen, wo wir wieder auf weicheren Untergrund gewechselt sind.«
Flynn ließ sich das für eine Weile durch den Kopf gehen. »Dann geht es also darum, sie in alle
möglichen Sackgassen laufen zu lassen, bis wir einen ordentlichen Abstand aufgebaut haben?«
Jensen lächelte. »Ich hatte eigentlich nicht die klassische Variante im Sinn. Ich sage dir
Bescheid, wenn ich es gefunden habe.«
Eine Viertelstunde später wurde er dann fündig.
»Hier«, sagte er und wies nach links, während das Wasser um seine Stiefel strudelte.
»Was hier ?«, fragte Flynn und schaute mit einem ziemlich verwirrten Gesichtsausdruck auf
das große schlammige Areal, das sich acht Meter vom Ufer des Bachs bis zu den Bäumen im
Hintergrund erstreckte.
Ein paar Grastupfer lugten aus dem Schlamm, und ein paar Blätter, Rindenstücke und vermodertes
Holz lagen herum, doch sonst war das schlammige Terrain ziemlich unberührt. »Wir sollen also da
durchstiefeln und Spuren hinterlassen, die selbst ein Blinder mit Krückstock finden würde?«
»O du ungläubiger Thomas«, sagte Jensen missbilligend, nahm den Rucksack von der Schulter und
holte die Kletterhilfe sowie eine dünne Leine heraus.
»Pass auf - von mir kannst du noch was lernen.«
Er befestigte die Kletterhilfe an einem Ende des Seils und schlang das Seil in einer lockeren
Wicklung um den linken Unterarm. Dann fasste er die Leine einen halben Meter unterhalb der
Kletterhilfe, schwang den Haken senkrecht im Kreis und fixierte dabei die Baumreihe, die das
Schlammfeld auf der anderen Seite begrenzte. Was er brauchte, war ein kräftiger Ast mindestens
drei Meter überm Erdboden, und er hatte auch nur einen Versuch. Wenn die Kletterhilfe sich nicht
um den Ast wickelte und er sie durch den Schlamm zurückziehen musste, würden sie es an einer
anderen Stelle noch einmal versuchen müssen. Er suchte sich einen geeignet erscheinenden Ast aus,
zielte auf den Ansatz, wo er aus dem Stamm wuchs, und warf die Kletterhilfe.
Das jahrelange Training zahlte sich aus. Die Kletterhilfe beschrieb gemächlich einen Bogen durch
die Luft und senkte sich passgenau in die Lücke zwischen Ast und Stamm. Er straffte die Leine
vorsichtig und spürte, wie die Haken sich ins Holz bohrten.
»Sehr schön«, gratulierte Flynn ihm. »Ich hoffe nur, wir sollen uns jetzt nicht wie ein Affe
durch die Lüfte schwingen.«
»Keine Sorge«, beruhigte Jensen ihn und gab ihm das Seil. »Hier - achte darauf, dass es schön
straff gespannt ist.«
Flynn nahm die Leine, wickelte sie sich nach dem Vorbild von Jensen um den Arm und straffte das
Seil. Jensen entfernte sich ein paar Schritte vom Bach und sondierte die Vegetation und das
Terrain zu ihrer Rechten. Jenseits des Schlammfelds stieg das Gelände vom Bach aus steil an und
gipfelte schließlich in einem der vielen Höhenzüge, die diesen Teil der Welt durchzogen. Zum
Glück standen trotz des abschüssigen Geländes einige Bäume nur ein paar Meter vom Wasserlauf
entfernt. Er visierte den Baum an, der mit dem Pendant, wo er die Kletterhilfe versenkt hatte, in
einer direkten Sichtlinie verbunden war, holte einen shuriken heraus und schleuderte ihn
drei Meter überm Boden in den Baumstamm, wobei das Metall sich vertikal fast bis zur Mitte ins
Holz grub.
Flynn schaute nachdenklich auf den Wurfstern, als Jensen wieder zu ihm kam. »In Ordnung«, sagte
der Junge. »Aber wie verankern wir ihn?«
»Wir verankern ihn nicht«, sagte Jensen. »Ich mach das. Gib mir den Rest der Leine, halte
das Kletterhilfen-Ende aber weiter straff.«
Flynn reichte ihm die Leine. Jensen ging zum Flussufer
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