Die Judas Variante
mich nämlich nicht erinnern,
dich schon einmal hier in dieser Gegend gesehen zu haben.«
»Nein, ich bin nur auf der Durchreise«, sagte Flynn.
»Hast du irgendein bestimmtes Ziel?«
Flynn überlegte sich die Antwort gut. Er wusste, dass das eine heikle Situation war. Doch wie
Lathe zu sagen pflegte, wenn man zu wenig Informationen hatte, musste man sich eben auf den
Instinkt verlassen, und der Instinkt sagte ihm, dass diese Männer keine Freunde der Ryqril oder
ihrer loyalitätskonditionierten Kollaborateure waren. »Ich bin eigentlich auf der Suche nach
einem Arzt«, sagte er und musterte sie gründlich.
»Echt?«, sagte der jüngere Mann misstrauisch. »Du machst aber einen ziemlich gesunden Eindruck
auf mich. Hast du vielleicht eine Krankheit, die man nicht sieht?«
»Ein Freund von mir ist krank«, sagte Flynn. »Aber ihr seid offensichtlich irgendwohin unterwegs.
Wenn ihr mir die Richtung zeigen könntet, wo ich einen Arzt finde, wäre ich euch dankbar. Wenn
nicht, dürft ihr von mir aus gern eures Weges ziehen.«
»Sehr zuvorkommend von dir«, sagte der ältere Mann trocken. »Aber wir sind hier zu Hause,
nicht du. Du gehst erst dann weiter, wenn du dazu aufgefordert wirst.«
Er hatte plötzlich einen harten Blick. »Es sei denn, du rückst mit der Sprache raus und sagst
uns, wer du wirklich bist«, sagte er. »Und zwar sofort.« Nach dem letzten Wort ließ er plötzlich
das Gewehr des jüngeren Manns los.
Und bevor Flynn noch zu reagieren vermochte, beendete der Gewehrlauf seinen Abschwung mit einem
Klatschen in der linken Hand des jungen Manns.
Und zielte direkt auf Flynns Gesicht.
Flynn duckte sich blitzschnell und nutzte dabei Knie und Hüfte als Drehpunkte. Das Moment dieser
Korkenzieher-Drehung verlieh ihm zusätzliche Kraft, als er das Messer herumschleuderte und es
gegen den Schützen warf. Im letzten Moment gab er der Waffe noch einen Drehmomentschub für eine
zusätzliche Halbdrehung mit, und als er den Spin beendet hatte, sah er, wie das Messer mit dem
Knauf voran an die Stirn des jungen Manns prallte. Die Waffe des anderen wackelte wie ein
Lämmerschwanz, als er ein paar Schritte zurücktaumelte, und Flynn richtete die Aufmerksamkeit auf
den anderen Mann.
Der stand reglos da - förmlich zur Salzsäule erstarrt durch Flynns unerwarteten Gegenangriff -,
und das Gewehr hing ihm noch immer um die Schulter.
Flynn sprang wieder auf die Füße, nahm den nunchaku in die rechte Hand und stürmte in der
Hoffnung los, den Abstand zu überbrücken, bevor die beiden Männer sich wieder berappelt hatten
und zu einem neuen Angriff imstande waren.
Doch zu spät. Der jüngere Mann war zäher, als er aussah; und während der Labrador noch
erschrocken jaulte und die Ohren anlegte, griff er wieder zu seiner Waffe und brachte sie gegen
Flynn in Anschlag.
Und mit dem Klack von Stein auf Metall wurde ihm die Waffe seitlich aus den Händen
geprellt.
»Das genügt, meine Herren«, ertönte eine krächzende Stimme scheinbar aus dem Nichts. Obwohl er
wusste, wer es war, brauchte Flynn eine Sekunde, um die Stimme als Jensens zu identifizieren. Es
raschelte zwischen den Ästen, und Jensen trat mit gespannter und schussbereiter Schleuder unter
dem Baum hervor. »Leg die Waffe auf den Boden«, fuhr er fort und richtete die Schleuder auf den
älteren Mann, der die Flinte noch immer um die Schulter hängen hatte. »Und dann verschwindet ihr
beide.«
»Das wird nicht nötig sein«, sagte der ältere Mann ruhig und legte die Waffe auf den Boden. »Ich
bitte um Verzeihung für den Test, aber wir mussten uns vergewissern.«
»In welcher Hinsicht vergewissern?«, wollte Flynn wissen. »Dass wir keine leichten Ziele
sind?«
Der ältere Mann schaute mit einem Kopfnicken auf Jensen. »Dass ihr Blackcollars seid.«
»Toby hatte recht«, sagte der jüngere Mann und massierte sich die Stirn, wo Flynns Messer ihn
erwischt hatte. »Ihr müsst letzte Nacht auf dem Shuttle-Gleitpfad reingekommen sein. Die Späher
der Sicherheit schwirren nämlich schon den ganzen Tag über diesem Gebiet in der Luft.«
Flynn schaute über die Schulter, doch die Bäume versperrten ihm die Sicht auf diesen Ausschnitt
des Himmels. »Toby hat ein Auge für solche Dinge, nicht wahr?«
»Er hat ja auch reichlich Zeit dafür«, sagte der ältere Mann trocken. »Er hat eine Blockhütte ein
paar hundert Meter oberhalb unseres Dorfs, von wo aus er einen recht guten Überblick über alles
hat, was sich so tut.«
»Und auf wessen Seite
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