Die Judas Variante
ihm forderte. Durch die Äste der
Deckung erhaschte er einen Blick auf eine große, dunkle Gestalt, die sich näherte...
Und zu seinem Erstaunen trottete der größte braune Labrador-Retriever, den er jemals gesehen
hatte, in sein Blickfeld.
Er atmete lautlos aus, und die erste instinktive Erleichterung, dass es nicht der Bär war, wich
schnell der ernüchternden Erkenntnis, dass er es jetzt vielleicht noch schlechter getroffen
hatte. Nun sah er auch, dass der Hund eine Art Kragen um den Hals hatte - und es galt die
Gleichung: Ein Hund und ein Halsband ist gleich ein Herrchen. Und hier, nur ein paar Kilometer
von einer Ryqril-Basis entfernt, war es gut möglich, dass Hund und Herrchen einen
Sicherheitsspäher bedeuteten.
Der Labrador wanderte auf den Baum zu, unter dem Jensen versteckt war, und schnüffelte mit
wedelndem Schwanz an Büschen und freiliegenden Baumwurzeln. Hinter ihm hörte Flynn näher kommende
Schritte. Er nahm den nunchaku in die linke Hand, zog ein Wurfmesser und rüstete sich
mental für den Kampf. Jensen, so erzählten die Trainees sich hinter vorgehaltener Hand, hatte
schon einmal eine Sicherheitsbefragung mit allen Schikanen mitgemacht. Er würde das kein zweites
Mal durchmachen; nicht, wenn Flynn das verhindern konnte.
Und wieder hatte er sich unnötige Sorgen gemacht. Die beiden Männer, die in Sicht kamen, waren
groß und bärtig und trugen eine abgerissene und fadenscheinige Kleidung, in der ein
Sicherheitsbeamter, der etwas auf sich hielt, sich nicht einmal beerdigen lassen würde. Der
jüngere der beiden war wahrscheinlich nur ein paar Jahre älter als Flynn mit seinen
dreiundzwanzig, während der ältere ein Mittfünfziger war. Er hatte die Lederhaut eines Menschen,
der sein ganzes Leben draußen in freier Natur verbracht hatte. Außerdem stellte er eine
unverkennbare Familienähnlichkeit fest, insbesondere bei der Mund- und Augenpartie.
Und die Übereinstimmung zwischen den langläufigen Harpunengewehren, die sie über der Schulter
trugen, stach erst recht ins Auge.
Flynn duckte sich noch tiefer hinter den Busch. Er wurde von zwiespältigen Gefühlen geplagt.
Einerseits waren das vielleicht genau die Leute, die er gesucht hatte - Einheimische, die ihm den
Weg zu dem Arzt weisen konnten, den Jensen so dringend brauchte. Andererseits war er in den
langen Stunden der erzwungenen Untätigkeit zu dem Schluss gelangt, dass Jensens Einschätzung
ihrer Möglichkeiten wahrscheinlich realistischer war als seine. Hier draußen in der Wildnis einen
Arzt zu finden - praktisch ein Ding der Unmöglichkeit.
Und selbst wenn sie einen fanden, woher sollten sie wissen, wem seine Loyalität galt. Sie würden
es erst dann wissen, wenn es zu spät war.
Nein, sagte er sich spontan. Es wäre am besten, die beiden Kaninchenjäger passieren zu lassen und
zu hoffen, dass Jensens Verletzungen doch nicht so schlimm waren, wie sie heute Morgen ausgesehen
hatten.
Und dann blieb der Labrador zu seinem Leidwesen wie angewurzelt stehen, drehte den großen Kopf
und trottete schnurstracks auf den Baum zu, unter dem Jensen verborgen war.
Flynn hatte keine Zeit mehr für reifliche Überlegungen. Im nächsten Moment war er auf den Füßen
und hatte den rechten Arm mit dem wurfbereiten Messer über der Schulter angewinkelt. »Stehen
bleiben«, blaffte er.
Der jüngere Mann zuckte bei Flynns plötzlichem Auftauchen überrascht zusammen, und die Flinte
rutschte ihm von der Schulter, als er sie auf Flynn anlegen wollte. Doch der ältere Mann war
schneller.
Mit der linken Hand hielt er das Gewehr fest; und mit der rechten fixierte er seine eigene Waffe
an der Schulter. »Nur mit der Ruhe, mein Sohn«, rief er Flynn ruhig zu. »Wir wollen dir nichts
tun.«
»Das ist gut zu wissen«, sagte Flynn und versuchte den jüngeren Mann und den Hund gleichzeitig im
Auge zu behalten. Das Tier hatte sich bei Flynns Zuruf umgedreht und schien sich jetzt nicht
recht entscheiden zu können, ob es den Neuankömmling beschnüffeln oder doch lieber zum Baum
weitergehen sollte.
Der ältere Mann schien Flynns geteilte Aufmerksamkeit falsch zu verstehen. »Du hast doch nicht
etwa Angst vor Joe Pub hier, oder?«, fragte er und deutete auf den Hund. »Er wird dir auch nichts
tun.« Er stieß einen kurzen Pfiff aus. »Komm her, Joe Pub. Bei Fuß.«
Gehorsam lief der Labrador zu ihm hin und blieb mit einem freudigen Hecheln neben ihm stehen.
»Aber wer bist du überhaupt?«, fuhr der ältere Mann fort. »Ich kann
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