Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Schicksals sei. Aber einmal angenommen, er hatte kein Schicksal? Angenommen, die Menschen suchten – so wie die Tiere – ihr Heil in einer feindseligen Welt, einer Welt, in der die Natur gegen sie kämpfte, noch während sie die Natur zu bewahren versuchten. Und umgekehrt: Einmal angenommen, dass es dort draußen – in dem riesigen Universum – einen Gott gab, einen obersten Herrscher dieser Welt. Einen, der die Menschen beschützte. Wenn ja, würde das seinen Entschluss hinsichtlich der Frage, was er tun sollte, ändern? Wenn er seine Frau Nancy danach fragte, würde sie mit Spott reagieren. Sie war noch skeptischer als er. Nach dem Tod war nichts. Nur das Ende – keine weiteren Gedanken, keine weiteren Fragen, kein weiteres Leid, keine Liebe oder Freundschaft. Und weil das Leben kurz war, war es so wichtig, möglichst viel Geld und Gut anzuhäufen und es an die Nachkommen zu vererben. Die Armen dieser Welt verdienten Hilfe, doch erst nachdem man ausreichend für sich vorgesorgt hatte. Ich zuerst. Es war hart, aber so war es nun einmal.
Was sollte er tun? Er war der Präsident seines Landes, doch in einer Krise musste er seine Familie über alles stellen. Was aber war mit den anderen Familien – jenen, die sich am wenigsten selbst helfen konnten? Und überhaupt: Hatte Martinelli die Wahrheit gesagt? Vermutlich ja. Der wissenschaftliche Beirat des US -Präsidenten hatte (in einem Geheimbericht) bestätigt, dass die – wenn auch nur geringe – Gefahr bestand, das Virus könne auf den Menschen überspringen. Aber würde es
alle
töten? Vielleicht tötete es Millionen, sogar Hunderte Millionen, doch es würde wohl kaum die ganze Menschheit vernichten, oder? Es würde noch immer Indianer geben, versteckt im Urwald des Amazonas, oder Buschmänner in den Steppen Afrikas, die überlebt hatten. Es brauchte nicht viele – nur eine Frau und einen Mann. Der Mensch war sehr widerstandsfähig. Nicht ausgeschlossen, dass er so wie die Kakerlake die finale Katastrophe überstand.
Sollte er der amerikanischen Öffentlichkeit mitteilen, dass das Virus auf Menschen übersprang? Nein. Und wenn es Krankheitsfälle gab? Im Fall der Vereinigten Staaten könnte das lange dauern. Jefferson blickte auf die schlafenden Gestalten seiner sechs und vier Jahre alten Töchter. Er würde sie trotzdem eine Zeitlang aus Washington fortschaffen. Er musste sie im Geheimen in einer militärischen Einrichtung unterbringen. Niemand durfte davon erfahren, keine Publicity. Und seine Frau? Sie würde sich mit Sicherheit weigern zu gehen. Aber was war mit den anderen, die ihm nahestanden? Was mit seinem jüngeren Bruder in San Francisco? Er würde sich einen Weg ausdenken, wie er ihm eine Warnung zukommen lassen konnte. Und seine Schwiegereltern in Louisiana? Am besten, er machte sie im jetzigen Stadium nicht nervös. Oder konnte er sie vielleicht dazu überreden, die Kinder zu begleiten und auf sie aufzupassen?
»Alles in Ordnung, Liebling?«
Die geflüsterte Frage seiner Frau riss Jefferson aus seinen Gedanken. Er legte den Finger an die Lippen, und sie traten hinaus auf den Flur.
»Geht’s dir gut?«
Seine Frau Nancy war hoch gewachsen – fast so groß wie er, und er war schon weit über eins achtzig. Sie hatte eine füllige Figur (die Folgen des mittleren Alters und zweier Schwangerschaften) und eine dunklere Hautfarbe. Auch sie hatte Jura studiert, allerdings ihre Karriere hintangestellt, um ihm bei seiner zu helfen, was sie vermutlich bereute, da sie ihm intellektuell ebenbürtig war und dazu noch gern das Sagen hatte. Sie waren seit zehn Jahren verheiratet. Er liebte sie, aber konnte die Liebe nicht mehr als einer Frau gelten? Eine flüchtige Affäre war kein Betrug. Mit Sekretärinnen und Mitarbeiterinnen zu schlafen war eine Art Vergünstigung für Politiker. Außerdem taten es alle.
»Ich muss mit dir sprechen.«
Seine Frau strich ihm in dem dunklen Flur über das Gesicht. Sie hatte Gerüchte gehört über sein Interesse an einer ehemaligen Mitarbeiterin des Weißen Hauses, aber die konnten nicht stimmen. Er hatte geschworen, ihr treu zu sein. Außerdem würde er als Präsident der Vereinigten Staaten niemals damit durchkommen; irgendjemand würde reden. Und wenn es stimmte, wollte ausgerechnet sie da urteilen? Andererseits: Taten es denn nicht alle Frauen ihrer Generation im Geheimen? Das war kein Betrug, kein Fremdgehen, es bedeutete, auf diskrete Weise seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Das Beste aus dem
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