Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
dem Heli nach Bologna fliegen, um seine Frau zu treffen. Und morgen würde er mit dem Papst zusammentreffen; er brauchte dessen moralische Unterstützung, sollte die Nachricht von der Epidemie publik werden. Er griff nach einem Telefon und wählte eine Nummer. Das Ergebnis war nicht nach seinem Geschmack.
»Der Heilige Vater steht nicht zur Verfügung.«
»Aber ich möchte ihn treffen.«
»Das geht morgen oder übermorgen«, entgegnete der Kardinal, der das Protokoll leitete. (Für wen hielt sich der italienische Ministerpräsident? Niemand kommandierte den Papst herum.) »Aber ich werde ihm ausrichten, dass Sie angerufen haben. Wir melden uns dann bei Ihnen.«
»Wo ist er?«
»In seiner Kapelle, beten.«
»Ach, was soll’s!« Martinelli knallte den Hörer auf. Typisch, immer wenn man einen Pfaffen braucht, ist er nicht da. Ständig beten diese Leute, dauernd gehen sie der Verantwortung aus dem Weg. Was nützen denn Gebete? Sie sind ungefähr das Gleiche, wie wenn man eine besetzte Leitung anruft.
29
An jedem Ort sind die Augen des Herrn,
sie wachen über Gut und Böse.
Sprüche 15,3
D ürfen wir das überhaupt?«
»Ja. Ich habe Ihnen die Gründe bereits genannt.«
Es war Mitternacht. Kardinal Rienzi stand am Eingang zum Geheimarchiv, hinter ihm zwei weitere Kardinäle und Mitverschwörer. Alle drei hatten eine Taschenlampe bei sich, die sie auf den Boden richteten, um keinen Lichtschein zu werfen. Sie waren nervös. Es kam nicht oft vor, dass sich Würdenträger des Vatikans an Gaunereien beteiligten – besser gesagt: nicht sehr oft.
»Geben Sie mir den Schlüssel!«
Kardinal Rienzi nahm den Schlüssel zum Büro des Präfekten von seinem Amtskollegen entgegen. Nach dem vorzeitigen Tod des Präfekten des Geheimarchivs war der Schlüssel dem Leiter der Vatikanischen Bibliothek ausgehändigt worden, der ihn in seinem Büro aufbewahrte.
Die drei Kardinäle hatten sich den Schlüssel heimlich »ausgeliehen«. Sie hatte des Längeren über die Moralität dieser Handlung diskutiert und waren schließlich zu einer vertretbaren theologischen Rechtfertigung gelangt: Es war zwar Diebstahl, einen Schlüssel zu entwenden. Aber es sei
kein
Diebstahl, ihn auszuleihen in dem Fall, dass der Präfekt tot war
und
dass die Kardinäle den Schlüssel (wie zu hoffen war) von ihm erhalten hätten, wäre er am Leben gewesen. Was nicht illegal war, war legal – eine altehrwürdige theologische Maxime. Das Gewissen war beruhigt.
Kaum war das scheunenähnliche Tor zum Geheimarchiv geöffnet worden, begannen die Kardinäle zwischen den Bücherstapeln zu suchen. Rienzi hätte sich nicht ausgekannt, aber ein Kardinal, der den Präfekten früher ein paarmal besucht hatte, führte sie. Es war unheimlich, so mitten in der Nacht herumzuschleichen. So seltsam und verboten wie der Einbruch in ein Kloster.
»Sehen Sie etwas?«, flüsterte einer der Kardinäle. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden.
»Nein«, sagte Rienzi. Er spähte ins Dunkel, das sich zu beiden Seiten erstreckte. Da war nichts. Doch wenn er einatmete, nahm er nicht den Geruch modriger alter Bücher wahr. Vielmehr hatte er das Gefühl, als befände er sich in einer offenen Landschaft und atmete feuchte, von Tau erfüllte Luft ein. Reine Einbildung natürlich. Als sie vor dem Büro des Präfekten standen, steckte Rienzi den Schlüssel ins Schloss. Nach einem zufriedenstellenden Klicken traten sie ein. Während seiner langjährigen Tätigkeit im Vatikan war Rienzi nur einmal in den Räumen des Präfekten gewesen. Es war nicht notwendig gewesen; seine Pflichten hatten sich um Fragen der Verwaltung gedreht, nicht um Bibliotheken. Als er mit seiner Taschenlampe herumleuchtete, sah er, dass sich seit diesem einen Besuch von vor über zehn Jahren kaum etwas verändert hatte. Der schwere Mahagonischreibtisch des Präfekten, die bronzene Leselampe, das Bild der Jungfrau Maria hinter dem Schreibtisch und, oh, gut, ein schwarzer Tresor in der einen Ecke.
»Durchsuchen Sie das Zimmer, ich suche in den Schreibtischschubladen!«
Die drei machten sich an die Arbeit; sie brauchten nicht lange. Es gab keinen Schlüssel zum Turm der Winde, weder im Schreibtisch des Präfekten noch anderswo in dem Raum. Damit blieb nur ein Ort übrig. Sie inspizierten den Safe. Einer der Kardinäle kniete sich hin und drückte den Griff herunter.
»Abgeschlossen.«
Rienzi setzte sich auf den Holzstuhl des Präfekten; er war verärgert. Die Sache war ein fruchtloses Unterfangen. Der
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