Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Schlüssel zum Turm der Winde lag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Tresor. Und der Schlüssel zum Tresor? Der Präfekt hatte ihn wahrscheinlich jederzeit bei sich getragen, und nach seinem Tod war er sicherlich bei dem Kardinal, der den Schlüssel zum Büro des Präfekten besaß, gelandet. Oder nicht? Vielleicht hatte er geglaubt, dass der Schlüssel zum Büro des Präfekten reichen würde. Was bedeutete, dass der Schlüssel zum Tresor nach wie vor in diesem Zimmer war, dass sie ihn nur noch nicht gefunden hatten.
»Suchen Sie weiter!«
Die Minuten verstrichen. Während die beiden Kardinäle umhereilten (es war wichtig, die anderen die Arbeit machen zu lassen, während man selbst die Übersicht behielt), blieb Rienzi auf dem Stuhl des Präfekten sitzen und ging alle Möglichkeiten durch.
Unerwartet beschlich ihn ein Gedanke. Er verwarf ihn, aber die Idee nagte weiter an ihm.
»Nichts.« Die anderen beiden Kardinäle brachten ihre Enttäuschung zum Ausdruck.
»Es gibt da noch eine andere Möglichkeit.« Rienzi stand auf.
Sie verließen das Büro des Präfekten und begaben sich zum Turm der Winde. Da keiner von ihnen den Turm je besucht hatte, eilten sie zuerst über einen falschen Gang und dann noch einen zweiten. Zugleich wurde der Geruch nach feuchter Erde, den Rienzi wahrgenommen hatte, noch stärker. Schließlich standen sie vor der uralten Tür. Rienzi drückte den Griff hinunter; die Tür öffnete sich.
»Gütiger Herr!«, rief einer der Kardinäle ungläubig. »Wie haben Sie das erraten?«
Rienzi hielt ihn zurück. Das war der Punkt. War der Herr gütig oder nicht? Die Intuition, die er gehabt hatte. Seltsam, wie sich der Gedanke in ihn hineingeschlichen hatte. Woher war er gekommen? Aus
seinem
Kopf, oder versuchte irgendjemand – irgendetwas – ihn zu leiten? Und wenn ja, handelte es sich um einen guten oder bösen spirituellen Führer? Rienzis Taschenlampe erhellte die vor ihnen liegende Wendeltreppe. Nachdem er einen Entschluss gefasst hatte, trat er über die Schwelle und bedeutete seinen Kollegen, ihm zu folgen. Langsam stiegen sie in den ersten Stock hinauf. Zugleich verlor Rienzi die Orientierung in der stygischen Düsternis. Merkwürdige Bilder flackerten in seinem Kopf auf. Er hätte schwören können, dass er eine Anhöhe hinaufstieg – eine Anhöhe in ungepflegtem Zustand. Rechts sah er Rankgewächse, links Büsche, durchsetzt mit Unkraut. Die beiden Kardinäle hinter ihm schnappten vor Angst nach Luft.
»Mir ist da eben etwas über den Fuß gelaufen.«
»Eine Ratte.«
»Sie hat gezischt.«
Rienzi gab keine Antwort. Einige Stufen höher auf der Wendeltreppe wurde seine Vision deutlicher. Er war erstaunt. In der gleichen Zeit, in der er die abgewetzten Steinstufen vor sich sehen konnte, war er anderswo – in einer anderen Welt. Wie war das möglich? Aber es gab keinen Zweifel. Er stand auf einem Hügel. Einige Bereiche waren kultiviert worden, andere dagegen nicht. Am Fuß des Hügels befand sich ein Friedhof mit zahlreichen Gräbern aus der Römerzeit.
»Kardinal?«
Noch während er sich auf der Treppe umwandte, um seine Gefährten in der menschlichen Dimension ausfindig zu machen, weitete sich die Szenerie vor Rienzis spirituellem Auge. Es war wohl ein heller Sommernachmittag, denn seine Vision war in Sonnenlicht getaucht. Er sah Reihen von Rebstöcken, an denen Trauben hingen. Zur Linken, auf einem Stein liegend, sah er eine Schlange – eine Viper mit einem ausgeprägten Diamantenmuster. Rienzi wich zurück, sein Fuß stieß gegen einen Stein – oder war es die letzte Stufe der Treppe? Die Gegenwart kehrte schnell wie ein Wimpernschlag zurück. Er leuchtete mit seiner Taschenlampe umher und sagte laut:
»Das hier muss das erste Stockwerk sein.«
Sie hatten das Meridianzimmer betreten. Rienzi fiel auf, dass das Zimmer bis auf die Bilder an den Wänden leer war. Er ging in das Zimmer der alttestamentarischen Patriarchen. Durch Zufall (war es Zufall?) drehte sich die Taschenlampe in seiner Hand und richtete den Strahl auf eines der Gemälde an der Wand – eine Szene aus dem Alten Testament.
An einem Brunnen standen Rebecca und Eliezer. In den Händen hielt Rebecca einen Krug Wasser und wollte Eliezer gerade einen Becher einschenken. Kurz darauf hatte Rienzi das Gefühl, sich
im
Bild zu befinden. Meine Güte, plötzlich stand er vor dem Brunnen! Neben ihm stand eine Frau, ihr leichtes blaues Kleid flatterte sanft im Wind. Er musste nur die Hand
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