Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
anonymen Grab, weit weg von dem ehrgeizigen Bischof, müssen sie den Herrn angefleht haben im schlimmsten Augenblick ihrer spirituellen Krise.
Und die Menschenwelt? Sie würde sich niemals ändern; sie steckte fest im Teufelskreis des Bösen, der sich nicht durchbrechen ließ. Die einzige Möglichkeit, Erlösung zu finden, bestand für den Einzelnen darin, diese Welt zu verlassen und die Last des Bösen mit sich zu tragen. Wobei eines feststand: Satan hatte seinen Thron im Norden errichtet. Das heißt, sein Reich gründete auf Macht. Doch das kommende Reich gründete nicht auf Macht. Christus würde aus dem Osten kommen. Das heißt, sein Reich beruhte auf Liebe, und durch Liebe würde die Menschheit wieder zusammenkommen. Zunächst jedoch würde der Rest der Menschheit auf Erden in die Wüste geschickt werden. In der spirituellen Welt – und nicht in der menschlichen Welt – würde die große Schlacht Armageddon ausgefochten werden.
Johannes XXVI . stand neben dem Grab des heiligen Petrus und streckte beide Hände aus. Er war gekommen, um die Erbschaft des ersten Apostels anzutreten, um der Menschheit in ihrer letzten Stunde zu helfen – in der ihre Bedürftigkeit am größten war. Morgen würde er der sterbenden Welt die erste der großen Prophezeiungen verkündigen.
»Der heilige Paulus wird wieder mit dem heiligen Petrus wandeln.«
37
Wie ein Betrunkener taumelt die Erde,
sie schwankt wie eine wacklige Hütte.
Jesaja 24,20
R oberto Martinelli saß, den Kopf in die Hände gestützt, an seinem Schreibtisch im Präsidentenpalast. Er hatte die Grenzen seiner Belastbarkeit erreicht. Nicht nur war er erschöpft, sondern die Macht, der trunken machende Wein des Lebens, von dem er geglaubt hatte, er könne nie genug davon bekommen, war ihm sauer im Mund geworden. Hier war er: ein Mann, dessen Machtbefugnisse so groß waren wie die eines römischen Diktators – und die sich als unwirksam erwiesen hatten. Von morgens bis abends sagte er den Menschen, was sie tun sollten. Er telefonierte und beorderte Soldaten und Polizisten hierhin und dorthin, wies die Militärtribunale an, mehr Plünderer und Diebe standrechtlich zu erschießen, befahl den Krankenhäusern, geöffnet zu bleiben … doch niemand gehorchte ihm. Martinelli schlug verärgert mit der Faust auf den Tisch. Niemand gehorchte ihm, weil die Menschen Angst hatten vor etwas, das mächtiger war als die Macht.
Dem Tod.
Zwei Tage zuvor waren in Italien hunderttausend Menschen an der Virusinfektion gestorben. Gestern betrug die Zahl sechshunderttausend. Heute würde sie vermutlich über einer Million liegen. Was allerdings nur eine Schätzung war, weil es niemanden gab, der noch eine genaue Statistik führte. Die Menschen starben wie die Fliegen. Auf den Straßen, in den Geschäften, in ihren Autos, in ihren Betten. Martinellis Verteidigungsminister tot, Dutzende Politiker tot, der Bürgermeister von Rom tot. Ein Anruf nach dem anderen, den er tätigte, wurde nicht beantwortet. Die Leute hatten so viel zu tun, dass sie dem eigenen Präsidenten nicht mehr antworteten. Es gab einmal eine Zeit, da wären sie auf den Knien gekrochen, um einen solchen Anruf zu bekommen, sie hätten jede Summe Bestechungsgeld gezahlt, um an seinen Wochenendpartys und politischen Tête-à-Têtes teilnehmen zu dürfen. Aber jetzt, was spielte es für eine Rolle? Wer interessierte sich denn noch für Roberto Martinelli, diesen italienischen Ministerpräsidenten und Telecom-Mogul? Die Leute waren zu beschäftigt mit dem Versuch, das eigene Leben zu retten.
Trotz der präsidialen Befehle hatten die meisten Krankenhäuser geschlossen, weil die Ärzte und Krankenschwestern zunehmend schneller starben. Viele Mediziner sagten den Menschen, es gebe kein Heilmittel, weshalb sie zu Hause bleiben sollten. Das war, im Grunde, auch die Botschaft der Regierung – wenngleich sich da eine Lüge hineingeschlichen hatte. »Bleibt zu Hause, dann kommt alles in Ordnung, die Epidemie wird schon vorübergehen.«
Aber würden die Leute das tun? Würden sie zuhören? Nein! Wie aufgescheuchte Schafe flüchteten sie. Sie flüchteten, weil sie tote oder sterbende Angehörige zu Hause hatten und verzweifelt bemüht waren, sich nicht mit der Krankheit zu infizieren. Doch indem sie flohen, verbreiteten sie den Erreger und machten die Situation noch schlimmer. Warum waren die Menschen so töricht! Wieso hörten sie nicht zu! Erkannten sie nicht, dass er, Martinelli, die Antwort hatte? Er war der
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