Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
ruckartig die Augen auf.
Der Mönch schaute ihn aufmerksam an. Er fuhr fort: »Jeder Mensch flicht seine eigene Krone. Diese Krone enthält keinen menschlichen Reichtum, denn wenn ein Mensch stirbt, werden ihm alle irdischen Dinge genommen, doch das Gute, das er getan hat – die Tugenden – bleiben bestehen. Die Edelsteine in der Krone sind die Tugenden. Diese können einzig durch Leid erworben werden. Die Krone ist eine Dornenkrone, doch wahrlich, ich sage dir, sie wird zu einer Krone der Herrlichkeit. Du hast immer noch Zeit, verstehst du?«
Jussef schloss erneut die Augen. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Kinder hoch zu Ross und die, die auf den Flügeln der Adler getragen wurden. Letztere standen für diejenigen auf Erden, die das größte Leid ertrugen. Und durch sie strömte die Güte in die Welt. Und was für Kronen sie trugen! Auf diese Weise gesehen, würde eine bescheidene Frau, die allein in einem Elendsviertel starb, ein Vermögen angehäuft haben, das größer war als das des reichsten Mannes der Welt, denn der Reichtum der einen würde überdauern, der des anderen dagegen nicht. Menschlicher Reichtum und spiritueller Reichtum.
»Und deine Krone?«, fragte Theodore.
»Ich habe keine Krone«, erwiderte Jussef. Er begann heftig zu weinen.
»Aber du hast sehr wohl eine Krone«, erwiderte der Mönch. »Schau doch!«
Jussef schloss die Augen. In der samtigen Dunkelheit nahm er zwei Hände wahr, die auf geheimnisvolle Weise eine Krone flochten. Sie bestand aus verschiedenen Farben, was die Mischung der Tugenden zum Ausdruck brachte. Kleine Akte der Güte, die ihm entfallen waren, kaum dass er sie ausgeübt hatte, wurden mit Handlungen der Demut verwoben, mit erduldeten Erniedrigungen und erlittenen Schmerzen. Das Herz des Priesters jubilierte – auch über den Schock einer weiteren Erkenntnis: Die Großen auf der Erde würden nicht die Großen im Himmel sein. Dies war seit dem Anfang aller Zeiten festgelegt; es konnte nicht geändert werden, und es gründete auf Wahrheit. Die Armen im Geiste würden tatsächlich herrschen.
Jussef schaute zu, wie die Farben seiner Leidenskrone – seiner Dornenkrone –, sich veränderten. In seiner Krone erschien ein Herz. Es symbolisierte, dass es für ihn auf der Erde keine Größe geben würde, aber spirituellen Ruhm. Schließlich setzten die geheimnisvollen Hände drei große Diamanten in die Krone.
»Was sind das für Diamanten?«
»Sie stehen für Barmherzigkeit«, sagte der Mönch. »Satan kann alle Tugenden verfälschen – nur eine nicht. Er kann nicht täuschen in Bezug auf die Barmherzigkeit, weil er diese nie in sich getragen hat. Wenn man auf dieser Erde Barmherzigkeit übt, führt man unmittelbar den Willen Gottes aus. Dafür wird man reich belohnt werden. Doch vergiss nicht: Deine Krone ist noch nicht vollständig, Jussef. Du musst dich immer noch dafür entscheiden, Barmherzigkeit zu praktizieren.«
Jussef schug die Augen auf. Der alte Mönch lachte glücklich.
»Siehst du«, sagte er, »du hast doch einen großartigen Lebenslauf!«
40
Denn Unheil bringe ich von Norden und großes Verderben.
Der Löwe hat sich aus dem Dickicht erhoben, der Völkerwürger
ist aufgebrochen; er hat sein Land verlassen,
um dein Land zur Wüste zu machen.
Deine Städte werden zerstört und entvölkert.
Jeremia 4,6
W ir arbeiten die günstigste Route aus, Sir. Ihr Wagen steht in fünf Minuten bereit.«
Es war Abend. Martinelli wartete im Präsidentenpalast auf seine gepanzerte Limousine, die ihn zum Vatikan bringen sollte. Was für ein Tag! Der schlimmste, den das Land je erlebt hatte. Mehr als zwei Millionen Italiener waren gestorben – an
einem
Tag. Jedenfalls hatten das seine Experten und das Militär geschätzt. Niemand kannte die genauen Zahlen – man hatte einfach die geschätzte Zahl der Todesfälle in Rom hochgerechnet. Sein Chef der Streitkräfte hatte ihm mitgeteilt, dass die Straßen im ganzen Land mit Leichen übersät seien – es gab niemanden, der sie entfernte. Rings um den Palast hatte man die Leichen fortgeräumt, doch andernorts hatte die Armee sie liegen gelassen – wegen Personalmangels, denn die Soldaten desertierten in Scharen. Rom war eine Stadt mit drei Millionen Einwohnern gewesen. Jetzt war vermutlich nur noch ein Drittel der Bevölkerung übrig. Wer waren diese Menschen? Die Alten, die Gebrechlichen, die Behinderten, die Kinder und die Verlassenen, dazu die Soldaten, die Frommen und die Kriminellen. Alle
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