Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
wenig Sightseeing zu machen, das Kloster war eine Art Haltestelle auf dem Touristenpfad. Sie ähnelten den Japanern, die die Kirche in Alexandria besuchten. Wer narrte hier also wen? Josua seufzte. Es gab da etwas, das ihm wirklich Sorgen machte. Er hörte Schritte und blickte auf. Hier kam die Antwort.
»Ich muss morgen den Mönch aufsuchen. Was bedeutet der Satz, Pater Jussef?«
Jussef setzte sich neben ihn. Er reckte die Brust und bemühte sich, nicht allzu selbstzufrieden zu wirken. Diesmal würde er nicht wieder so einen Mist bauen. Vergiss die Stelle mit Christus und den Kindern, die war ein bisschen zu schwierig. Der Satz aus dem 1. Buch Mose war da einfacher zu verstehen. »Die Bedeutung der Worte ist klar.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Der Mensch sieht aus wie Gott.«
Josua stöhnte innerlich auf. Darauf war er auch schon gekommen, aber es schien ihm nicht richtig zu sein. »Wenn ich also sterbe, treffe ich jemanden, der zwar aussieht wie ich, aber ein bisschen mächtiger ist.«
»
Sehr
viel mächtiger«, verbesserte ihn Jussef, der damit betonen wollte, dass er sich in dem Thema besonders gut auskannte.
»Aber wie groß ist er?«
»Über die Details musst du dir keine Gedanken machen«, erwiderte sein Mentor. »Er kann erscheinen, wie er es möchte. Du siehst ihn wahrscheinlich als hochgewachsenen Mann mit Bart und, hm, freundlich dreinblickenden Augen.«
»Blau oder braun?«
»Hm. Blau – wahrscheinlich.«
»Nicht hässlich?«
Eine Pause entstand. »Nun ja, nein, hässlich ist er wohl nicht, Josua.«
»Nicht wie ich?«
Jussef zögerte; er hatte wieder mal den Faden verloren. »Ich habe dir nur einen Teil der Antwort gegeben. Der Mensch wurde nach dem Abbild Gottes geschaffen, weil er dazu geschaffen wurde, wie Gott zu sein. Wir müssen uns nach Gott
erschaffen
, und das ist schwierig. Es bedeutet …«
»Und was ist mit den Frauen? Wie können die ein Abbild Gottes sein?«
»Man sollte die Bibel nicht zu wörtlich nehmen.«
»Aber Gott ist ein Mann.«
Der große Lehrer wandte sich verärgert ab. Laut röhrend verließ ein Reisebus in einer Staubwolke das Klostergelände – die Touristen hatten ihre tägliche Dosis Religion eingenommen. Aber warum geriet er eigentlich immer durcheinander, wenn er Josua etwas zu erklären versuchte?
»Aber er hat Arme und Beine? Und Zähne?«
»Ähm … Du hast mir nicht zugehört, Josua!«
»Und wofür braucht Gott zwei Augen? Hat er nicht mehr?«
»Hör mal! Ich habe dir genug geholfen. Ich werde dir nicht alles erklären. Finde den Rest selber heraus!«
Jussef marschierte, rechtschaffen wütend, davon. Also wirklich! Die Leute erwarteten, dass er ihnen alles über Gott erzählte, ohne dass sie sich selbst anzustrengen brauchten. Also bitte, er hatte jahrelang studiert, um so weit zu kommen. Schließlich war Gott komplex: ein Rätsel, hinter das man nie so ganz kam. Das war ja gerade der Witz daran.
Josua blickte seinem Mentor hinterher. Pater Jussef war ein guter Kerl, aber es ging ihm mehr um seine Würde als um die Wahrheit. Plötzlich musste Josua laut lachen. Ein Reisebus, der das Kloster verließ, wäre beinahe mit einem anderen Bus zusammengestoßen, der auf das Gelände fuhr. Die, die von Gott forteilten, trafen auf jene, die zu ihm eilten. Ein Symbol für die spirituelle Verwirrung des Menschen selbst?
Die Zeit verstrich, doch Josua machte keinerlei Anstalten, vom Dach herabzusteigen. Er versuchte eine Reihe von Eindrücken und Einsichten zusammenzubringen, hatte aber kein Glück dabei. Die Silberlinge des Judas, das Treffen mit dem Papst, seine Anwesenheit hier. Wie hing das alles zusammen, und was bedeutete es für ihn?
Er fühlte sich schläfrig, begab sich in den Schatten hinter einem Oberlicht und schlief ein. Er träumte. In seinem Traum stieg er eine steile, steinerne Treppe hinauf. Vor sich sah er Menschen, die ihn jedoch – obwohl er ihnen etwas zurief – nicht beachteten. Plötzlich war die Treppe zu Ende. Er stand in einem kleinen Raum. Gemälde hingen an den Wänden, aber sein Blick war so verschleiert, dass er keine Einzelheiten erkannte. Er ging noch eine Treppe hinauf und betrat wieder einen kleinen Raum und dann einen dritten. Schließlich stand er auf einem Balkon. Dort saß eine Gruppe von Männern, deren Gesichter deutlich zu erkennen waren. Hinter ihnen, in der Ferne, war die riesige Kuppel einer Kirche zu sehen. Das war doch sicher die des Petersdoms, den er während seines Aufenthalts in Rom gesehen hatte?
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