Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
und Handschriften – was würde er nicht alles für sie tun.
Heute Abend schlief der Präfekt tief und fest, doch in den vergangenen Wochen war das anders gewesen. Die Anweisungen des Papstes, dass die Kirche ihre Reichtümer verschenken solle, hatten ihn tief bestürzt wie alle in der Kirche. Selbstverständlich wusste Pater Gabriele – so wie andere hochrangige Kleriker –, dass die Kirche zu reich war und dass ihr Reichtum moralisch nicht zu rechtfertigen war. Dennoch hatte die Jahrhunderte dauernde Lethargie (und das damit einhergehende Gefühl des Wohlergehens) diese Leute – und ihn auch – so sehr eingelullt, dass sie den Missstand geduldet hatten. Deshalb war der Befehl des Papstes wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen.
Aber Befehl war Befehl, und so hatte der Präfekt ein paar von seinen Büchern hergegeben. Das fand er nicht besonders schlimm. Das Geheimarchiv besaß zahlreiche Kopien theologischer Werke mittlerer Qualität und auch viele nichttheologische Werke, die kaum benötigt wurden. Der Verkauf dieser Bände an italienische Bibliotheken und Sammler spülte Geld in die Kasse, und Pater Gabriele tröstete sich mit dem Gedanken, dass die Einnahmen den Opfern der Hungersnot im Fernen Osten helfen würden.
Der nächstfolgende Auftrag des Papstes, dass die Bürokraten anfangen sollten, den Kernreichtum der Kirche wegzugeben, war da schon von anderem Kaliber – und hatte dem Präfekten schlaflose Nächte bereitet. Welche Bücher sollte er auswählen? Die ältesten sollten doch sicher zuletzt verkauft werden, oder? Aber was war mit den Handschriften, den antiken und mittelalterlichen Manuskriptseiten, den Zeichnungen, den Kupferstichen? Von welchem seiner geliebten Kinder sollte er sich trennen? Wie viele andere ließ auch ihn das Leid, das er empfand, daran zweifeln, ob der Papst das Richtige tat. Trotzdem weigerte er sich standhaft, sich an einer Kabale gegen Johannes XXVI . zu beteiligen, etwas, was in den Mauern des Vatikans durchaus nicht selten war. Viele leitende Vatikan-Beamte flüsterten hinter vorgehaltener Hand, dieser Papst sei ein Ausländer, ein Eindringling – einer, der nicht verstand, wie die Dinge in Rom liefen. Er sei zu naiv, er beschädige die spirituelle Integrität des Kirchensystems, er …
Rauchgeruch riss den Präfekten aus dem Schlaf. Er setzte sich im Bett auf und schnüffelte. Brannte da etwas? Nein, er hatte sich geirrt. Er ließ sich in sein Daunenkopfkissen zurücksinken, aber nur, um sich noch besorgter wieder aufzurichten. Er stand auf, öffnete das Fenster, das auf den Belvedere-Hof hinausging, und atmete tief durch. Dann noch einmal. Feuchter Piniengeruch; nichts anderes. Gut. Wie töricht von ihm. Er hatte die Vorhänge fast wieder zugezogen, als er einen Lichtschein sah: im dritten Stockwerk des Turms der Winde – dem einzigen Ort, an dem kein Licht brennen durfte.
Zutiefst beunruhigt kleidete sich der Präfekt an. Nur
er
besaß den Schlüssel zum Turm, also musste jemand seinen Bürotresor aufgebrochen haben, um den Schlüssel zu holen. Der – wohlbeleibte – Präfekt verließ seine Wohnung, fiel in Laufschritt, als er die Treppe hinuntereilte und den Belvedere-Hof überquerte. Diebe! Räuber! Sie hatten sich in den Vatikan eingeschlichen. Aber wie? Handelte es sich vielleicht um jene geheimnisvollen Gäste, die den Papst vor einigen Wochen besucht hatten? Aber die waren doch nicht im Turm der Winde gewesen. Und dennoch … Der Präfekt stand jetzt vor der Tür zur Vatikanischen Bibliothek. Er trat ein, eilte über die Flure und weiter bis ins Geheimarchiv. Schließlich war er vor seinem Büro und schloss auf. Er kniete neben den Tresor nieder und drehte das Einstellrad so lange mit ungeschickten Bewegungen, bis die Kombination richtig eingestellt war. Er zog die schwere Tür auf.
Sein Schlüssel – er war da.
Er nahm ihn in die Hand. Aber wenn
er
den Schlüssel zum Turm hatte, wie konnte dann jemand dort sein? Besaß etwa der Papst einen Geheimschlüssel? Wieder überfiel eine unheilvolle Ahnung den Präfekten. Vielleicht brannte es im Turm; irgendwie musste die Holzvertäfelung Feuer gefangen haben. Pater Gabriele schnappte sich eine Taschenlampe, rannte wie ein Verrückter zum Turm und schloss die uralte Holztür auf. Keuchend stieg er die steinerne Wendeltreppe hinauf. Im ersten Stock, als er stehen blieb, um zu verschnaufen, kam ihm eine dringende Aufforderung in den Sinn. Hatte der Papst ihm nicht ausdrücklich untersagt, in
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