Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Kuppel des Petersdoms fand ein auf Erden einmaliges Ereignis statt: ein Treffen der verfeindeten monotheistischen Weltreligionen. Die Führer der katholischen, der orthodoxen und der protestantischen Kirche waren – samt all den zahlreichen Ablegern – nach Rom eingeladen worden. Ebenso wie Juden und Muslime. Und die meisten geladenen Gäste erschienen auch. Schließlich gab es viele Anreize, sich zu engagieren. Die Angehörigen ihrer Gemeinden hatten ihnen die Fahrtkosten bezahlt, sie konnten sich die Sehenswürdigkeiten der Ewigen Stadt anschauen, und sie würden, und das war am wichtigsten, die Gelegenheit bekommen, ihre Brüder zum
wahren
Glauben zu bekehren. Die Römerinnen und Römer ihrerseits nahmen die Gäste begeistert auf. Noch nie hatte es eine größere Versammlung von spirituell Erleuchteten gegeben. Und noch nie hatte es eine größere Ansammlung kirchlicher Haute Couture gegeben. Roms Schneider waren in Hochstimmung. Keine Frage, Spiritualität und schöne Kleider hingen im göttlichen und geistlichen Denken aufs engste zusammen. Oder doch nur im irdischen?
»Wir sollten uns vereinigen.«
Johannes XXVI . hatte diesen Satz als Losung gewählt. Und er war sich durchaus bewusst, dass es sich um die letzte Gelegenheit für die Religion handeln könnte, ihr Haus in Ordnung zu bringen. Natürlich stellte die Organisation eines solchen Ereignisses eine riesige logistische Herausforderung dar. Über tausend Geistliche aus der ganzen Welt waren eingeladen worden. Die christlichen deckten jede Form des Glaubens ab. Von denen, die Christus für den Erlöser der Welt hielten, bis zu jenen, die in ihm einfach nur den netten Mann sahen, der ihnen nötigenfalls etwas Geld leihen konnte. Von denen, die glaubten, seine Mutter sei göttlich, bis zu jenen, die meinten, sie habe mehrere Nachkommen zur Welt gebracht. Von denen, die den Heiligen Geist für die dritte Person der Trinität hielten, bis zu jenen, die ihn, sie (oder es) bloß für einen Windhauch hielten, der von Gottvater zum Sohn wehte. Schließlich konnte niemand behaupten, die Kleriker hätten das religiöse Feld nicht gründlich beackert. Auf der Suche nach Christus war kein Stein auf dem anderen geblieben. Oder handelte es sich womöglich um den Stein, über den sie stolperten?
Der chinesische Pontifex hielt die Eröffnungsrede im Petersdom. Ein bedeutender Moment, die Hauptnachricht auf der ganzen Welt, sie stellte sogar die wirtschaftlichen Tragödien in den Schatten, die beinahe täglich stattfanden. Der erste Satz der Rede gab den Ton an: »Es ist an der Zeit, sich zu vereinigen.«
Es waren prophetische Worte, und Johannes XXVI . war sich dessen wohl bewusst. Die Beeren näherten sich der Kelter. Soll heißen, die Zeit, die Menschheit auf die Probe zu stellen, war gekommen, denn Satan stand im Begriff, in die Welt zu kommen. Vor dem Hochaltar stehend und über dem Grab des ersten Apostels überblickte Johannes XXVI . die außergewöhnliche Menschenmenge, die sich da versammelt hatte. Waren sie richtig gekleidet für den Anlass? Kronen, Mitren, schwarze Hüte, Pelzhüte, Roben, Messgewänder, Reichsäpfel, Seide, Satin, Gold und Silber – hier und da sogar ein wenig Perlenschmuck auf den kirchlichen Gewändern. Offenkundig trug die Kirche ihren Reichtum am Körper. Doch es war wohl kaum die richtige Kleidung, um in den Kampf zu ziehen. Das Bild hätte jeden Chef eines Kostümverleihs zu Tränen gerührt; und einen Engel zum Weinen gebracht.
»Ich bitte, ich flehe Sie alle an«, sagte Johannes XXVI . mit brechender Stimme. »Wir müssen uns vereinigen!«
Ein Murmeln ging durch die Menge. Der Mann sagte die Wahrheit. Niemand konnte bestreiten, dass eine Vereinigung vernünftig wäre; das war die feste Überzeugung aller. Einheit war der einzige Weg nach vorn. Das Herz ging ihnen auf. Sie würden sich
mit Sicherheit
vereinigen – soll heißen, sobald einige heikle Punkte in der Glaubenslehre geklärt waren.
Nachdem er seine Eröffnungsrede gehalten hatte, begab sich der Papst zu seiner Privatkapelle, während die anderen Teilnehmer die Debatte über ihren Glauben unter der Kuppel des Petersdoms fortsetzten. Wieder und wieder, von einem Sprecher nach dem anderen, wurde der chaotische Zustand der Welt beklagt. Wieder und wieder wurde die Notwendigkeit beschworen, die Religion müsse den bedrohten Planeten retten. Harmonie, Frieden, guter Wille, Toleranz, Mitgefühl – die Worte kamen aus den Mündern in hundert Sprachen oder mehr.
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