Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Konnte Beredsamkeit die Welt retten, konnte der Verstand die Welt retten – hier war der lebende Beweis! Das Zentrum der Rechtschaffenheit hatte sich versammelt. Alles war gut.
»Diese Menschen werden scheitern.«
Kniend und tief im Gebet blickte Johannes XXVI . nach rechts. Vor ihm erschien die Gestalt eines jungen Mannes. Der Engel strahlte ein intensives Licht aus und hatte eine Aura, die kein Mensch je besitzen konnte. Er ging auf und ab und wartete auf die Bestätigung seiner Prophezeiung. Dann machte er sich noch einmal bemerkbar, aber nicht mit Worten; der Papst spürte, wie die Empfindungen ihn im Herz rührten. Handelte es sich um einen Engel der Finsternis oder des Lichts? Sein Leben lang hatte der Papst über das Wesen des Bösen und seine Abstufungen nachgedacht. Satan war sowohl einer als auch viele; seine Macht war sowohl individuell als auch kollektiv. Jedoch war Satan auch eine lebendige spirituelle Kraft – einer der Serafim, der einst die klarste Wahrnehmung Gottes besessen und dann weggeschaut hatte. Und ebendieser Satan hatte ein unmittelbares Interesse am Sturz des Papstes.
»Sie werden scheitern.«
Johannes XXVI . schwieg. Erwiderte er etwas darauf, so würde der Engel eine Diskussion mit ihm anzetteln, bei der er versuchen würde, den Willen seines Gegenübers zu schwächen. Der Papst blieb den ganzen Tag im Gebet.
Es war später Nachmittag, als ein Kardinal ihm die Nachricht übermittelte: Der erste Tag des Konklaves war unter tumultartigen Szenen abgebrochen worden. Einer der orthodoxen Bischöfe hatte behauptet, ein Baptist habe ihn beleidigt, einer der Juden hatte das Gefühl, missverstanden worden zu sein, einer der Katholiken hatte betont, seine sei die einzig wahre Religion, einer der Muslime hatte sich geprügelt, jemandes Reichsapfel war gestohlen, das Gesäß einer Nonne gekniffen worden, die Toiletten waren übergelaufen, die Schokoladenkekse ausgegangen …
Johannes XXVI . lauschte den allzu menschlichen Geschichten. Sie entsprachen exakt seinen Erwartungen und denen Satans. Denn schließlich: Wo waren all die Pharisäer hingegangen? Sie waren einer Kirche beigetreten. Diese Menschen würden das, was ihnen an Kraft geblieben war, dazu nutzen, um sich zu streiten. Sie wurden so sehr von ihrem Ego und ihrer Selbstgefälligkeit niedergedrückt, dass sie sich keinesfalls auf die kommende Auseinandersetzung einlassen würden, geschweige denn, sie beenden. Wie sollte Satan also besiegt werden?
Die einzige Hoffnung der Menschheit lag in der geheimen Armee Gottes.
13
… und der Brunnen ist tief;
woher hast du also das lebendige Wasser.
Johannes 4,11
A ls es an der Tür klopfte – kurz vor ein Uhr in der Früh –, befand sich Josua nicht in seiner Mönchszelle. Eine Stunde zuvor war er aufgestanden, um einen Spaziergang zu machen, denn er konnte nicht schlafen. Der Husten, der ihn plagte, seit er im Kloster des heiligen Antonius eingetroffen war, und das Gefühl der Kälte in seiner Brust hatten sich so sehr verstärkt, dass er sich krank fühlte. Außerdem war er innerlich aufgewühlt. Denn der Mönch Theodore hatte ihn gebeten, eine bedeutende Entscheidung zu treffen – eine Reise zu unternehmen, über die er nichts wusste. Eine Reise, die kein menschlicher Treck war. Wohin würde sie ihn führen?
Josuas Wanderungen über das Klostergelände führten ihn zu einem Brunnen. Seit Jahrhunderten schon schöpften die Mönche ihr Wasser daraus. Josua zog die hölzerne Abdeckung zurück, beugte sich vor und spähte hinunter. Wegen der Dunkelheit und der Tiefe war da nichts zu sehen. Josua begriff, dass der Brunnen ein Symbol seiner eigenen Notlage war. Er war ein Mensch, der neben einem Brunnen stand. Das Wasser war da – zumindest glaubte er das. Das einzige Mittel, um das zu beweisen, war jedoch, das Wasser heraufzuholen, was einen Eimer und eine Kraftanstrengung erforderte. Was also tun? Josua lehnte sich gegen die kreisrunde Einfassung und verschränkte die Arme. Hatte Bruder Theodore die Sache richtig verstanden?
Der Mönch hatte ein paar einfache Sätze geäußert, Sätze, die sich mit dem menschlichen Verstand nicht beweisen ließen. Er hatte behauptet, die Bibel sei ein spirituelles Buch, das spirituell gedeutet werden müsse. Dass ein Mensch sich selbst nicht wirklich verstehen könne, weil er drei Personen in einer sei. Und dass die spirituelle und die göttliche Person im menschlichen Körper verborgen seien. Der Mensch ähnele also drei getrennten
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