Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Hinweisen entnahmen die anderen beiden langsam die weitreichenden Folgen des Gesagten. Martinelli winkte sie noch näher zu sich heran. Schließlich steckten sie die Köpfe zusammen.
»Aristide, Carlo«, sagte er leise. »Ihre Frauen und Kinder. Holen Sie sie aus den Städten! Aber erzählen Sie
niemandem
etwas hiervon.«
Vier Augen füllten sich mit Entsetzen. Der Präsident hätte das letzte Wort nicht aussprechen müssen, aber er tat es, mit ganz leiser Stimme. »Wir haben eine Epidemie.«
* * *
Das letzte Zusammentreffen des Großen Konklaves fand im Petersdom statt. Weil nur die religiösen Führer daran teilnahmen, handelte es sich um eine relativ kleine Gruppe. Dennoch waren über dreihundert Männer und Frauen anwesend. Sie hatten ihre kirchlichen Gewänder angelegt, wie es sich für einen bedeutenden Anlass gehörte. Niemand konnte sich über mangelnde Farbigkeit beschweren. Ein Gemisch aus schwarzen, braunen, weißen, roten und grünen Roben, wobei die Evangelikalen in besonders strahlenden Gewändern auftraten. Alle diese Christen trugen Kreuze. Manche Kreuze waren so groß, dass sich ihre Träger darauf stützen konnten. Andere hatten ein hübsches Brustkreuz, das ein erstklassiger Silber- oder Goldschmied mit Freuden hergestellt hatte. Und sehr wenige trugen ein kleines Holzkreuz – vielleicht zum Andenken an einen geliebten Menschen.
Leider gab es trotz all der Fertigkeiten und der Diplomatie der vatikanischen Apparatschiks und des guten Willens der Anwesenden kein Schlusskommuniqué. Alle akzeptierten zwar – theoretisch –, dass die Einheit erstrebenswert, ja dringend geboten sei:
Aber
es war unselig, dass man sich immer noch nicht auf eine Reihe von Vorschlägen hatte einigen können, die sich nicht unter den Teppich der Glaubenslehre kehren ließen. Dass die Welt sich in einer schweren Krise befand und dass Millionen von Menschen starben, war kein Anlass für die Kirchenführer, sich hinsichtlich bestimmter Glaubensfragen zu einigen. Es war zwar jammerschade, doch es würde noch immer Zeit sein, diese Fragen zu erörtern, sobald das Problem des Meeressterbens gelöst war. Es ging dabei nicht um das Ego, sondern darum, wie man Gott präzise definierte. Etwas, das er verlangte – nein, einforderte.
Die Abschlussmesse, die der Papst feierte, war eine recht triste Angelegenheit. Manche Religionsführer fühlten sich außerstande, gemäß den göttlichen Verboten, die ihnen auferlegt waren, anderen die Hand zu schütteln – oder zu knien, zu sitzen oder zu stehen. (Gott war offenbar neurotisch – genauer gesagt: Sie waren es.) Andere fühlten sich unfähig, bestimmte Worte der Messe nachzusprechen oder zum Hochaltar zu gehen, ihren Hut abzunehmen oder ihn aufzusetzen. Und wieder andere murmelten oder stöhnten – je nachdem, ob der Heilige Geist in sie gefahren oder ihnen jemand auf die Füße getreten war. Doch wenigstens in einem Punkt herrschte völlige Einmütigkeit. Alle waren bereit zu akzeptieren, dass das Große Konklave begonnen und geendet hatte. Und niemand war bereit, Verantwortung für dessen Scheitern zu übernehmen. Schuld hatte, ohne Frage, der Papst. Weil er sie zwar zusammengerufen, es aber nicht vermocht hatte, sie zu vereinigen, musste er als Opferlamm dienen. Schließlich hatten sie alle ihr Bestes gegeben. Sie hatten sich ein Bein ausgerissen bei dem Versuch, Einheit zu finden – wie eine Frau, die sich in ihrem Haus bückt, um nach einer verlorenen Münze zu suchen. Es war zwar traurig, dass andere in einem offensichtlichen Fehler der Glaubenslehre nicht nachgaben, doch das Gewissen jedes Einzelnen war kristallklar, und Gott hätte der Haltung zugestimmt. Sie alle kannten die Wahrheit. Würde der Papst sich also entschuldigen?
Die Messe war zu Ende. Johannes XXVI . stieg die Stufen des Hochaltars hinunter, bis er schließlich mit den Anwesenden auf gleicher Höhe stand.
»Danke, dass Sie gekommen sind. Es tut mir leid, dass wir keine Übereinkunft erzielt haben.«
Er winkte einen Messdiener heran. Aus der Tiefe des Petersdoms kam eine Frau auf ihn zu. Gleichzeitig wandten sich die meisten Religionsführer um. Der sieben Jahre alte Knabe, den die Frau auf den Armen trug, war stark missgebildet, hatte eine Beinlähmung und einen Wasserkopf. Seine Augen blickten offen, aber leer.
Als die Frau vor dem Papst stand, sagte er: »Der Name des kleinen Jungen ist unbekannt, denn er wurde nach der Geburt ausgesetzt. Seine Adoptivmutter nennt ihn Michael. Er ist
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